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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Buchhaltung und chemischer Düngerstudien richtiger einzuschätzen. Also will ich mal wieder hier mein Glück versuchen, weil das eine so gut Essig ist wie das andere. Ein Referendar von 30 Jahren, der erst jetzt vor dem letzten Staatsexamen steht, ist freilich keine erfreuliche Erscheinung.«
    »Da hast du's!« Der liebenswürdige Graf Bismarck-Bohlen, der seinen Vetter gern hatte und sich ehrlich um dessen Fortkommen sorgte, seufzte. »Wie mancher deiner Alters- und Standesgenossen ist schon rasch avanciert! Das hättest du auch haben können. Kränkt dich das nicht?«
    »Vielleicht ein bißchen. Ich war nicht ohne Ehrgeiz, doch mein einsames Leben hat mir das ausgetrieben. Glück ist nicht außer uns, nur in uns, und wer nicht glücklich im Innern ist, dem kann's gleich sein, wie er draußen im Leben steht.«
    »Hat dir's denn niemals leid getan, daß du damals den Abschied nahmst?«
    »Vielleicht später, als das Landleben mich anödete. Doch meine Meinung über die Misere der Staatsdienerei ändere ich nicht, trotz dieses erneuten Anlaufs auf eine Ministerstelle, die man mit Gottes Hilfe als Greis erklimmt. Es ist nur – ich spüre gewisse Fähigkeiten, und die wollen doch etwas zu tun haben, wie ein Pferd im Stall krank wird, wenn man es nicht zum Traben ausführt.«
    »Dann bist du also jetzt im besten Zuge.«
    »Ich glaube kaum. Täglich beklag' ich, daß ich nicht eine Kunst treiben kann. Schriftstellern, das ist noch die einzige Freiheit, die ein moderner Mensch hat. Da kann er sich ausleben. Doch was sollt' ich schreiben! Für schöne Literatur fehlt's mir an Talent, und politische Flugschriften sind langweilig und gefährlich.«
    »Um Gottes willen nicht! Warum legst du so hohe Maßstäbe an die Beamten an? Denk' doch an den Spruch: Alles verstehen heißt alles verzeihen.«
    »Die diese Phrase im Munde führen, sind meist Leute, die nicht verstehen, was über ihren Horizont geht, und nicht verzeihen, was sie nicht verstehen. Dieser humane Schmuß ist eitel Humbug. Man verzeiht das Gemeine und Schlechte, wittert aber in allem Ungemeinen und Hohen eine feierliche Pose. Die Mittelmäßigen machen immer Front gegen jeden, der aus ihrer Art schlägt, ihre eigene kindische Eitelkeit fühlt sich tödlich gekränkt vom Selbstgefühl des Größeren, Genie taufen sie Größenwahn, und daß sich einer nicht unterdrücken lassen will, nennen siegeistesgestörte Überhebung. Was aber wäre wohl lächerlicherer Wahnsinn als die Unverschämtheit der Gewöhnlichen, einen Ungewöhnlichen beurteilen zu wollen! Davon sollte doch jeder Vernünftige die Finger lassen. Verzeih den Exkurs! Doch ich mag das nicht hören: Tout comprende c'est tout pardonner! Wer versteht denn und wer verzeiht?«
    Der Vetter ging betrübt weg: mit Otto ist's manchmal nicht ganz richtig. –
    Die so verschiedene Weltanschauung der Beamten und ihres Referendar-Mitarbeiters spitzte sich immer mehr zu. Es kam zum Klappen, als er einen Rapport über Kompensationen aufsetzen mußte, wodurch Landeigentümer wegen zwangsweiser Abtretung von Ländereien für Staatszwecke entschädigt werden sollten. Dieser unglaubliche Referendar erlaubte sich, das Recht des Staates gewissermaßen in Frage zu stellen. Sein dreistester Satz lautete: »Man kann mich nicht in Geld bezahlen, wenn man den Blumengarten meines Vaters in einen Karpfenteich und das Grab meiner verstorbenen Tante in einen Aalsumpf verwandelt.« Entschieden, der Rebell machte ein Fiasko. Sein höchster Vorgesetzter ließ ihn vor sich bescheiden und bedeutete ihm unter vier Augen: »Ihre Ausdrucksweise scheint mir geradezu ungehörig.« Sämtliche Brillenträger betrachteten diesen unregelmäßigen Outsider als einen Eindringling in das Reich des heiligen Bürokratius. Als er daher um Urlaub einkam, weil Verhältnisse seiner Güter seine Anwesenheit heischten, ließ ihn sein Chef lange im Vorzimmer warten, obschon die Tür seines Amtszimmers offenstand. Otto setzte sich ans Fenster und trommelte mit den Fingern auf den Scheiben den Dessauer-Marsch. Je länger das Warten währte, desto lauter wurde das Geräusch, mit dem er sich die Zeit vertrieb, und schwoll aus Adagio zu einem wahren Crescendo an, das endlich den mit Petschaft und Siegellack Arbeitenden von seinem Bureau vertrieb. »Was wünschen Sie?« frug der Vorgesetzte barsch. »Und was soll dieser unziemliche Lärm?«
    Otto erhob sich in seiner ganzen Länge, überkochend von Ärger. »Das war das Paternoster des preußischen Patrioten.« Und

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