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Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Der alte Streit über Glauben und Werke! Es gibt einen toten Buchstabenglauben, der sicher nicht zum ewigen Leben führt. Auch die Beschaulichkeit nicht, die sich von irdischen Genossen absondert und sich in einer Nische isoliert, wo sie vermeintlich allein mit Gott verkehrt. Man nennt das Quietismus.«
    »Was heißt das?«
    »Kommt vom lateinischen Quies , Ruhe. Man nennt es auch Pietismus, dem Frauen so leicht verfallen. Das Wort istabgeleitet von Pietas , Frömmigkeit. Doch die Spötter nennen es Frömmelei.«
    »Sie meinen wohl geistlichen Hochmut, der sich heiliger dünkt als andere? Davor soll jeder Christ sich doch hüten, denn unser Heiland hat die Pharisäer verworfen. Ich meine, Frömmigkeit ist nur ein stilles Harren auf den Tag des Herrn voll Hoffnung auf seine Gnade.« Sie sagte es sanft und milde, er sah mit weichem Wohlwollen auf sie nieder, schüttelte aber den Kopf.
    »Ja, ein Stillsitzen! Da, dünkt mich, fehlt doch die rechte Liebe. Die ist nicht still, sondern eifrig. Wo die ist, will sie sich gewiß nicht isolieren, sondern sich auch an sichtbare Wesen mit irdischen Banden anschließen.« Sie errötete unwillkürlich und antwortete nicht. »Ach, mein gnädiges Fräulein, die Welt ist so voll Lieblosigkeit. Die Frauen leiden darunter am meisten, schon als Mütter. Meine Mutter vermerkte es übel, wie ich mich allmählich von ihrem Herzen löste. Solche Erfahrung machen fast alle, die Kinder haben. Sie kannten jede Regung des Kindes und fast keine des Erwachsenen, der sich vielleicht schämt und eine Blöße verdecken will. Das ist der erste Sündenfall ... vor der Mutter.«
    Sie sah ernst zu ihm auf. »Sie waren also kein guter Sohn? Reut Sie das nicht?«
    »Ich habe so viel zu bereuen«, gestand er düster. »Verzeihen gnädiges Fräulein, daß ich Sie so mit Bekenntnissen meiner schönen Seele langweile«, brach er ab. »Ich bin halt ein halber Pommer, vom zweiten bis zum siebenten Jahr in Pommern erzogen, deshalb kein Spaßversteher.«
    »Mir ist's gar nicht zum Spaßen«, versicherte sie eifrig. »Das ist doch alles so traurig. Wie muß es in Ihnen aussehen! Verzeihen Sie, daß ich so etwas sage! Ich bin ja nur ein schwaches Mädchen, sehr ungelehrt. Aber mir ist, als wäre ich stärker als Sie, der Sie so groß und stark sind; doch was ist das ohne Glauben! Vor dem Herrn sind wir alle nur schwach und klein.« Sie sah ihm mit ihren dunklen Augen voll ins Gesicht mit keuscher Unschuld. »Ich weiß nicht warum, ich fühle so, der Herr wird Ihnen helfen!«
    Er beugte sich nieder und küßte ihr ritterlich die Hand. »Beten Sie für mich! Wollen Sie?« Sie nickte ernst, befangen errötend. –
    Dies Mädchen hat etwas an sich ... die möcht' ich wirklich zur Freundin haben. Weiß der Himmel, warum ich mich versucht fühle, mit ihr über ernste Dinge zu plaudern! Sogar von Mutter selig hab' ich gesprochen, was ich noch nie vor jemand tat. Solch ein reines, weibliches Herz übt einen merkwürdigen Zauber. Die kleine Quäkerin! Die wird mich noch mit Bibelsprüchen traktieren. Da muß ich sattelfest sein, sonst blamier' ich mich. Werde das alte Buch mal aus dem Schrank nehmen. Es muß doch was dran sein. Die guten, braven Leute hier nehmennatürlich alles wörtlich, doch es mag ja ein tieferer Sinn drin liegen, den man erst durch reifere Lebenserfahrung würdigen lernt. Wer bloß als Konfirmand und in obligatorischen Religionsstunden des Knabenalters dies sogenannte Buch der Bücher zur Hand nimmt, kann unmöglich davon Gewinn haben. Laß sehen, wie es jetzt auf mich wirkt! Was ist im Grunde für ein geistiger Unterschied zwischen den kindlich Gläubigen, die prüfungslos diese Überlieferungen für Gottes offizielle Botschaft halten, und mir, der ich wie alle Modernen gleichfalls prüfungslos mich davon abwende? Das dürftige Talglicht, das wir als unsere Vernunft anzünden, ist doch wirklich keine Sonne, die in alle dunklen Winkel hineinleuchtet. Die also das sacrificio dell' intelletto bringen, sind eigentlich vernünftiger als die Neunmalweisen, die sich kindlich einbilden, ihr bißchen Gehirn habe keine Mysterien nötig. –
    Mit der ungeheuren Konzentration, deren er fähig war, warf sich Otto also plötzlich auf Bibelkunde. Sehr bald stutzte er über die Abgrundtiefe vieler Jesu-Parabeln und -Sprüche, über die der Naive achtlos hinliest, ohne die theosophische Gewaltigkeit auch nur zu ahnen. Freilich entging ihm nicht, daß das Neue in gar keinem Zusammenhang mit dem Alten Testament steht

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