Bismarck 01
Burschenzeit, du alte Ritterherrlichkeit!« sang Otto etwas ironisch. »Für die Allgemeinheit kein Schade, meine Damen, große Betriebe funktionieren besser.« Melissa und Julia v. Behr, arme Verwandte von Puttkamers, erzählten viel Schönes von Charlotte Stolberg, die sich in Berlin werktätigem Christentum unter Anleitung des Seelsorgers in Bethanien widmete. »Nur im Adel trifft man solche frommen und tapfern Seelen!« rief der kleine Hans Kleist-Retzow begeistert. »Glaub' ich auch«, bekräftigte Otto und sah Johanna von der Seite an. Die Wälder von Letzlingen, wo der König manchmal Hofjagden abhielt, lagen vor ihnen ausgebreitet, vom Mond beleuchtet. »Geisterhaft wie ein Geheimnis von ewigem Frieden!« flüsterte er Marie Blanckenburg zu. Diese schauerte leise und zog den Schal fester zusammen. In der Gartenstadt Quedlinburg besuchte man die altertümliche Domkirche, die aus sehr frühen Zeiten des sogenannten romanischen Stils stammt.
»Warum nennt man das romanisch?« fragte eine Damev. Mittelstädt, die bald einen Mittelpunkt der Gesellschaft bildete. Nicht ohne Geist, eine hoch aufgeschossene Blondine von erheblicher Lieblichkeit, mit einem unerfreulichen Gatten behaftet, wählte sie den stattlichen Schönhauser zu ihrem besonderen Kavalier und Reisemarschall, der sich dieser Obliegenheit gern unterzog.
»Das weiß kein Mensch, denn gerade dieser Stil ist deutsch, und was man gotisch nennt, ist eher romanisch, aus Frankreich und Italien importiert. Es gibt Architekturkenner, die trotz aller Bewunderung für Kölner Dom, Straßburger Münster, Notre-Dame gerade die romanische, d. h. deutsche Bauart für die reinste und vornehmste halten.«
»Wie Sie über alles informiert sind!« bewunderte sie mit schmachtendem Augenaufschlag. »Aber ist denn das möglich, daß man etwas Deutsches romanisch nennt und umgekehrt?«
»Auf Erden ist alles möglich, denn Dummheit und Lüge sind unbegrenzt, die Welt will betrogen sein. Fast immer sieht die Wahrheit anders aus, als in Geschichtsbüchern zu lesen. Deshalb soll kein Mensch sich von zeitgenössischen Phrasen blenden lassen im Urteil über Menschen und Dinge. Die Nachwelt stößt fast jedes Urteil um. Doch auch sie fälscht oft, was tatsächlich war und ist. Fälschung und Fabel, davon nährt sich jede Überlieferung.«
»Nur nicht die der Heiligen Schrift«, tönte eine Stimme dazwischen. Johanna Puttkamer sprach mit großer Bestimmtheit. Frau v. Mittelstädt hob graziös die Schultern hoch und warf Otto einen vielsagenden Blick zu, als wollte sie sagen: das arme Ding, die dumme Person! wir beide bissen es besser, wir Hochgebildeten. Sie fand leider dabei keine Gegenliebe, denn Otto wandte sich respektvoll zu Fräulein v. Puttkamer: »Diese Ausnahme lasse ich gelten. Auch schon der Glaube daran ist eine Wirklichkeit, denn es steht geschrieben: Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.«
Er gehört doch innerlich zu uns! dachte Johanna. Die falsche Katze, die Mittelstädt, wird umsonst miauen. Oder nicht? Die Männer geben ja nur was auf das Äußere. Sie nimmt ihn in Beschlag, und er läßt sich's gerne gefallen.
Als ein Trupp Halberstädter Kürassiere vorüberzog, die eine Übung abhielten, grüßte der Schönhauser. »Das ist das Regiment, bei dem ich als Landwehroffizier eintrete, wenn es zum Kriege kommt.«
» Fi donc ! Wer wird von solchen gräßlichen Möglichkeiten sprechen! In unsern gebildeten Zeiten wird man so barbarische Bräuche hoffentlich nie wieder einführen. Der schändliche korsische Tyrann brachte Unheil genug für ein ganzes Jahrhundert.«
»Wünschen Sie, meine Gnädigste, Abschaffung der Armee?«
»Ich? wieso denn?« frug sie naiv erstaunt. »Das wäre ja furchtbar. Die Uniform kleidet die Herren so gut ... ich möchte Sie auch mal in Uniform sehen.«
Er verbeugte sich militärisch. »Zu Befehl. Mit andern Worten,die Damen schwärmen für ein Heer von Tanzhusaren und den ewigen Frieden. Möchten Sie mir aber erklären, wozu ein stehendes Heer dann taugt, wenn immer die Schwerter in der Scheide rosten?«
»Aber wofür sollte man heut Krieg führen?« sprang sie mit weiblicher Logik ab. »Alles ist doch so schön geordnet, jeder Staat hat, was er braucht. Die unteren Stände haben ihr gutes Auskommen, und die gute Gesellschaft interessiert sich doch nur für höhere Dinge, für die schönen Künste und Oper und Theater.«
»Das Ballett nicht zu vergessen«, meckerte halblaut ein altmärkischer Geck.
»Ach, Fanny Elsler verdrehte
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