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Bismarck 02

Bismarck 02

Titel: Bismarck 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Merimée jede Antwort, doch in sein Tagebuch schrieb er gelassen: »Nur Herr v. Bismarck ist ein wahrer großer Mann ...« In späteren Jahren aber hieß der Preuße in Paris nur noch »Der Mann von Biaritz«, man raunte sich zu, dieser honigzüngige Ulysses habe den schlauen Empereur beschwatzt und überlistet.
    *
    Aber offenbar mit Opfer an Nervenkraft. Denn kaum betrat Otto wieder Berlin, als ihn erneut ein Anfall seines alten Leidens erschütterte. Das Gift arbeitete immer noch in seinem Körper, nicht völlig ausgeschieden. Er kränkelte in das Neujahr des zweiten großen Schicksalsjahres hinein. Zu seiner Erholung diente bis tief ins Frühjahr das tollste Rasen des inneren »Konflikts«. Die Beredsamkeit der Granaten, die Düppel niederschmetterten, prallte wirkungslos an den Säulen der Gelehrsamkeit ab, die eine Art päpstlichen Unfehlbarkeitskonzils ehrfurchtgebietend umstanden. Die Leuchten der Wissenschaft und des Liberalismus stellten sich nicht unter den Scheffel, sondern irrlichtelierten lustig weiter. Dieser erfolgreiche Junker, ein Mensch ohne jede tiefere Bildung, konnte doch sie nicht überreden, deren geläufige Zunge den Vortrag eines Sokrates mit der Schmähsucht eines Thersites verband. Professor Gneist, dies ambulante Bergwerk alles juristischen Wissens, tief und dunkel, fand wieder das erlösende Wort: »Ihre Armeereform trägt das Kainszeichen des Meineids auf der Stirn.« »Und Ihre Bemerkung trägt den Stempel der Arroganz und Unverschämtheit«, parierte Roon nicht minder hitzig.
    Virchow der Gewaltige wagte sich an den Häuptling aller Verworfenheit selber heran und schleuderte ihm die Brandmarkung der Unwahrhaftigkeit ins Gesicht. »Was glauben Sie mit dieser Tonart auszurichten?« frug Otto gelassen. »Wünschen Sie wirklich, unseren politischen Zwist in Form der Horatier und Curiatier zu begleichen? Wenn so, ich bin bereit.« Und er sandte eine Forderung an den gelehrten Mann, der natürlich nicht die Wissenschaft eines ihrer Hohepriester berauben wollte. Auch hielt er den im Staatsexamen durchgefallenen Referendar nicht für satisfaktionsfähig. Er lehnte daher ab und empfing Dankadressen gläubiger Gemeinden für diese große, seines Weltruhms würdige Tat.
    Eine Phäakenexistenz sei freilich behaglicher als eine spartanische – die Kammer gleiche der falschen Mutter im Urteil Salomonis, die lieber das Kind zerreißen will, als ihren bösen Willen aufgeben – solche Degenstiche des alten Fechters von Göttingen gingen durch und durch, selbst durch die Watte der in Würde gepanzerten Professorenherzen. Die abstrakten Dogmen, an die sich dieser gelehrte Konstitutionalismus klammerte wie der Ertrinkende an den Strohhalm, verlockten sogar zu dem Schwabenstreich, die Erwerbung Lauenburgs ohne Einwilligung des Parlaments für null und nichtig zu erklären, sintemal der König nach der Verfassung nicht gleichzeitig »fremde Länder« beherrschen könne! Reiches Unterscheidung von Königtum und Herzogtum tat Otto als sprachliche Wortklauberei ab. Mit gleichem Recht könne man einen Greis ein Kind und ein Kind einen Greis nennen, weil die Grenzen ihrer verschiedenen Alter vorerst nicht festgestellt werden können. Und er zitierte vier Zeilen aus Heinrich VI. (3. Teil, 2. Akt, 1. Szene). »Gottswunder! Er zitiert Shakespeare! Wo er das wohl aufgelesen hat?« »Der Legationsrat Keudell, der ihm immer Musik macht wie David dem Saul, wenn der böse Geist über ihm ist – und das ist immer –, soll'n gebildeter Mann sein. Der hat ihm das wohl zugesteckt.« Die Kammer amüsierte sich nicht wenig, daß dieser rohe Junker ein Shakespeare-Belesener sein wollte. Ein neuer Skandal brach im Februar aus. Der oberste Gerichtshof hatte dahin erkannt, daß verleumderische Beschimpfungen der Regierung nicht unter die Freiheit der Rede für Abgeordnete fielen. Den Protest gegen solchen Verfassungsbruch, nach dem die löblichsten Injurien nicht mehr gestattet sein sollten, belegte der unerbittliche Staatsmann mit einer scharfen Rüge, daß die Kammer sich so weit vergesse. Diese geriet fast von Sinnen über solche Beleidigung, worauf er sie ohne weiteres wie unartige Schulbuben heimschickte, damit sie sich abkühle und zur Besinnung komme. Merkwürdigerweise erregte diese erneute Auflösung kaum einen Sturm im Wasserglase, denn alle Welt witterte, daß hinter den Kulissen viel wichtigere Dinge vorgingen als diese inneren Zänkereien, an die Preußens Lenker seine kostbare Zeit und Kräfte seiner wankenden

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