Bismarck 02
diese Staaten ausdrücklich gewarnt. Die harte Notwendigkeit und das Bedürfnis Deutschlands zwingen uns, die Priorität gegenüber sentimentalem Mitleid für Gefallene zu beanspruchen.«
»Ah, Sie können unmöglich ernst dabei bleiben, Sie lächeln, Sie scherzen, nicht wahr, Herr Graf? Das sind ja ungeheuerliche Forderungen. Wir leben nicht mehr zur Zeit Friedrichs des Großen, der einfach behielt, was er wegnahm.«
»Das bißchen Schlesien? War das so viel? Niemand wird ernstlich unsere Absicht durchkreuzen.«
»England, durch dynastische Bande mit Hannover verknüpft –«
»Heut auch mit Preußen. Was tat denn England für Dänemark?«
»Und Rußland wird schwerlich ruhig zusehen.«
Otto zuckte vielsagend die Achseln und lächelte. General Manteuffel sollte nach Petersburg gehen und dort die Aussicht eröffnen, daß man sich vom Schwarze Meer-Vertrag freimachen könne, die sonstige europäische Verwickelung benutzend.
»Nun ja, ich kenne das hübsche Bonmot des Kanzlers Gortschakow: ›Rußland schmollt nicht, es sammelt sich.‹ Aber wenn dies Reich Zurückhaltung bewahrt, was erwarten Sie von Frankreich?«
»Der Kaiser hat mir oft persönlich sich verbürgt, er würde nie unser Recht auf Annexionen anfechten.«
»Vielleicht nicht.« Benedetti senkte die Stimme. »Doch wie denken Sie über Kompensationen? Die kaiserliche Regierung wünscht, um es offen zu sagen, die Herstellung unserer alten Ostgrenze mit Mainz.«
Der Deutsche ballte unwillkürlich die Faust, aber ließ sich nichts merken. Sich umschauend, als fürchte er Lauscher, flüsterte er vertraulich: »Darüber läßt sich reden, doch erst nach Friedensschluß mit Österreich, was für uns die dringendste Tagesfrage bedeutet. Noch sind wir lange nicht so weit.«
»Sehr wohl, einverstanden. Unziemlich drängen will ich Sie nicht. Nur eins: Sachsen würde der Scheideweg sein, wo unsere Interessen sich trennen. Herr v. Beust beschwor meinen Souverän, sich an Sachsens Treue für Napoleon I. zu erinnern, und Se. Majestät, tief gemütvoll und hochherzig wie immer, wird dieser Bitte willfahren.«
Damit er uns einen Nagel in den Fuß schlagen und den Norddeutschen Bund zersplittern kann! dachte Otto. Laut aber sagte er: »Ich glaube nicht, daß wir darüber zerfallen werden. Sachsen ist uns nicht so nötig wie Hannover und Hessen. Indessen muß ich erst meinen Herrn, den König, zu dieser Ansicht bekehren. Er ist sehr scharf auf Sachsen. Nun, das wird sich geben.« Benedetti ging sehr befriedigt.
»Was würden Sie disponieren, wenn Frankreich uns jetzt angreift?«
Moltkes Antwort kam prompt: »Defensive gegen Österreich an der Elblinie, Offensive am Rhein gegen Frankreich.«
»Halten Sie das französische Heer für stark genug zur Offensive?«
»Im Gegenteil, es wird zurzeit höchstens 100 000 Mann, vielleicht sogar nur die Hälfte davon, über den Rhein führen können.«
»Immerhin eine ansehnliche Verstärkung und wohl mit besseren Generalen, die dann das tatlose Kommando der Bundestruppen ablösen würden. Diese sind noch nicht geschlagen genug. Jedenfalls müßten wir uns Österreich gegenüber schwächen, wenn wir in Frankreich einfallen wollten, dessen Stärke mir mehr in der Defensive zu liegen scheint, wo es seine Hilfsquellen und sein Festungssystem ausnützen kann. Mir scheint richtiger, uns nach Westen und Süden möglichst lange defensiv zu verhalten und mit ganzer Kraft den Vorstoß auf Österreich fortzusetzen, wofür wir ja auch behufs schnellerer Niederwerfung die Sonderbestrebung in Ungarn und Böhmen zu Hilfe rufen könnten.« (In Böhmen fand man den Tschechenhaß gegen die Deutsch-Österreicher so ausgebildet, daß Georg Bleibtreu, als er im folgenden Jahr zu Studienzwecken für sein großes Gemälde in der Nationalgalerie nochmals das wohlbekannte Schlachtfeld bereiste, in seiner Gastwirtstube in Lipa die Bilder von Huß, Ziska und – Zar Alexander hängen sah.)
Moltke hörte unmutig zu. Jetzt belehrte ihn dieser Schlachtenbummler auch noch über allgemeine strategische Auffassung. Und das schlimmste war, daß er recht hatte. Otto aber ging mit dem peinigenden Gedanken weg, daß der Frieden um jeden einigermaßen erträglichen Preis sofort geschlossen werden müsse, um der keck zugreifenden Räuberfaust Frankreichs zu entgehen. Und er wußte, daß er hier auf schroffen Widerstand im eigenen Lager stoßen würde. Den Militärs schwoll der Kamm so sehr, ungeahnte Lorbeeren um ihre Fahnen zu flechten, daß sie diese
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