Bismarck 02
Patriotismus. Wer Preußen drängt, für Österreich die Kastanien aus dem Feuer zu holen, ist ein Narr oder ein Verräter.«
»Da haben Sie nun Ihr Lieblingsorgan! Ich sagte es Ihnen immer. Aber sind Sie auch ganz sicher, daß Napoleon uns nicht über den Löffel barbiert?«
»Womit? Wenn wir ihn nicht nasführen, dann wird er uns auch nicht beschummeln, weil er uns braucht. Lehren Sie mich Napoleon kennen! Er ist in seiner Weise treu und erkenntlich.«
»Ist das so ausgemacht? Es gibt Leute, die fürchten, nach Österreichs Besiegung werde Preußen darankommen, wie es 1806 nach 1805 geschah.«
»Die Weltgeschichte wiederholt sich selten, in großen Zügen, ja, aber nicht im Detail, weil die Umstände immer wechseln. Wir dürfen Frankreich nie angreifen, solange es uns in Frieden läßt. Griffe es uns an, so würden wir uns zu verteidigen wissen, sonst verdienten wir nicht den Namen einer Nation. Viel größer ist die Gefahr von Österreich. Solange es die Oberhand behält, werden die Hohenzollern in seinen Augen stets Vasallen bleiben, sozusagen noch Kurfürsten. Es wartet nur auf gelegene Stunde, uns ganz zu unterdrücken.«
»Aber die deutsche öffentliche Meinung hält zu Österreich, wenn es gegen Frankreich geht.«
»Das gleicht unserem Gefühlsdusel. Ich sage Ihnen, es ist Selbstmord, wenn wir hindern, daß die Donaumacht erst durch Frankreich geschwächt wird.«
»Und tritt das Umgekehrte ein?«
»Unsinn! Ich betrachte den Kampf als hoffnungslos, Italien wird den Zweck erreichen. Unsere Selbstverleugnung könnte uns dahin bringen, für Integrität dieses Staates, in dem die deutschen Gebiete nur ein Viertel bilden, unsere Existenz aufs Spiel zu setzen. Gott besser's!«
Auf einer Soiree beim russischen Gesandten Budberg, wo er erst nach 10 Uhr eintraf – man liebte schon damals späte Gesellschaftsstunden in Berlin –, nahm ihn der Russe vertraulich am Arm und zog ihn in einen Winkel. »Was sagen Sie zum Effekt von Napoleons Neujahrsbescherung?«
Der Empereur hatte beim Empfang des diplomatischen Korps mit lauter Stimme dem österreichischen Botschafter Hübner die Drohung zugerufen: er bedaure die Spannung der beiden Regierungen, doch versichere den Kaiser Franz Josef nach wie vor seiner persönlichen Freundschaft. In der Diplomatensprache, die beim Ultimatum vor unmittelbarem Kriegsausbruch nur von »unfreundlichem Akt« redet, bedeutet dies allerdings viel. Sofort sank die französische Staatsrente an der Börse tief, den Handel und Wandel befiel Panik, die kriegerischen Vorbereitungen Frankreichs und Österreichs nahmen immer größeren Umfang an.
»Hm, er revozierte doch, man habe seine Worte übertrieben aufgefaßt.«
»Nur keine diplomatischen Ausflüchte zwischen uns, alter Freund. Napoleon mußte das, weil England und Preußen sich weigerten, von vornherein ihre Neutralität zu erklären, und weil die Italiener sich schon zu weit mit ihrem Begeisterungstaumel vorwagten. Er will sich noch nicht offiziell engagieren, doch das täuscht niemand. Wie denken Sie über Cavour?«
»Der sardinische Minister scheint mir ein echter Patriot zu sein, der kühl und ruhig auf die Einheit seines Vaterlandes zustrebt«, versetzte Otto gemessen.
»Wie vielleicht andere auf die Einheit Deutschlands.« Budberg lächelte. »Das dürfte jedoch viel schwerer sein, obschon Deutschland keine Fremdherrschaft im Lande hat. Ihr Kollege Usedom erzählt jedermann, dessen er habhaft werden kann, er kenne Garibaldi und Mazzini genau. Das ist, wie man so sagt, ein verfluchter Kerl, eine Leuchte diplomatischer Wissenschaft.« Beide lachten. »Dieser große Verschwörer ersetzt Sie also in Frankfurt. Gesegnete Mahlzeit! Davon verspreche ich mir Übelkeiten. Doch mir werden Sie nicht vorreden, daß Sie die Stimmung in Turin nicht genau kennen. Man weiß, Sie sind intim mit dem Gesandten Viktor Emanuels am Bundestag.«
Otto verzog keine Miene. »Gesellschaftlich. Graf Barral ist ein liebenswürdiger Kavalier.«
»Sie bleiben dabei. Dann muß ich Sie also belehren, daß Cavour ganz offen äußerte: Il parait, que l'Empereur veut aller en avant! Und von der Sendung des Marchese Bepoli nach Düsseldorf ahnen Sie wohl auch nichts?«
»Keine Ironie, bitte! Ich weiß, daß Bepoli seinen Schwager Fürst Hohenzollern, d.h. unseren derzeitigen Ministerpräsidenten, sondieren sollte.«
»Und zwar mit eigenhändigem Schriftstück Napoleons, das ihm dieser in Paris als Beglaubigung in die Tasche steckte. Den Inhalt kenne ich so
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