Bismarck 02
am jenseitigen Rand. Alles was man zur Beschönung des Mißerfolges dem armen Steinmetz aufbürdete, war nichts als schriftliche Manöverübung der Halbgötter. Weiter auf Moscou vorzudringen, erwies sich im überwältigenden Kreuzfeuer als unmöglich, und Goebens »klare Ruhe«, der sein Korps nicht ganz verbrauchen wollte, war bloße Selbstverständlichkeit. Daß aber Zastrow rechts von ihm nicht auch noch nutzlos Truppen opferte, war ganz richtig. Daß Steinmetz, das gebräunte derbe Gesicht von weißem Haar umrahmt und zorngerötet, die ihm erteilte Aufgabe für närrisch hielt, kann man ihm nicht verdenken. Er soll nicht vom Bois de Vaux her angegriffen haben, d. h. aus der Flanke? Kein Wort davon steht deutlich in Moltkes Direktive, denn Vauxwald hieß die ganze Mancewaldung auf der Karte und ein Flankenstoß, der notwendig ins Feuer des Forts geraten wäre, hätte auch bei Rozerieulles nichts genutzt. Daß eine versprengte Abteilung den dortigen Steinbruch besetzte, war reiner Zufall durch Unaufmerksamkeit des Feindes und hätte nie die Folgen gehabt, die man dieser Episode zuschreibt. Übrigens fand ja ein Angriff von zwei Brigaden auf der Flanke aus dem Vauxwalde statt, zeigte sich aber noch minder aussichtsreich als Vorbrechen durch das Mancethal. Als die Sonne sank, feuerte Moltke, der manches Zeichen von Aufregung verriet, persönlich die ankommenden Pommern an, über die Schlucht zu gehen, eine unsinnige Truppenanhäufung, die er später tadelte und sich selbst, daß er sie »zuließ«, womit er dem König die Verantwortung für seine eigenen Sünden zuschob. Die Pommern erzählten später, sie hätten die Schlacht entschieden, hatten aber tatsächlich gar keinen Erfolg als nutzlose Verlustvermehrung. Wie völlig konfus und nervös die Mithandelnden das gespenstige Treiben in der dunkelnden Schlucht unterm allverdeckenden Dampfbaldachin auffaßten, lehrt zur Genüge die breite Ausmalung von drei französischen Vorstößen, die mit Kraft und Nachdruck bis in die preußischen Reserven hineinstießen. Aus den französischen Rapporten geht mit Bestimmtheit hervor, daß nie so etwas geschah, außer mal von ein paar Kompagnien, und die Verteidiger sich darauf beschränkten, ihre Munition massenhaft zu verknallen.
Den Wahn von Fachleuten wie Colonel de Stoffel und dem preußischen Militärattaché in Paris, das Zündnadelgewehr sei dem Chassepot mindestens ebenbürtig, gab man schon lange auf. Er stand auf gleicher Höhe wie das Urteil preußischer Drilloffiziere, die Zuaven und Turkos taugten nichts. Darüber lachte am Abend von Wörth nicht wenig der Schlachtenmaler Bleibtreu, der mitten im Feuer das Eindringen der Zuaven bis zum ersten Briefkasten des Städtchens beobachtete, was nachher geradeso geleugnet wurde wie die Wiedereinnahme von Chlum bei Königgrätz. Alle Zuaven und Turkos schlugen sich großartig, zwei ihrer Regimenter bis zum letzten Mann, die Franzosen überhaupt dort erstrangig, nur die alten Steinmetzschen Nachod-Regimenter ihnen ebenbürtig. Doch so fälscht die Legende, daß man Bazaines Rheinarmee nachher für fester gefügt und besser erklärte als die mit Rekruten und Reservisten ausgefüllte Armee von Chalons, während letztere bei Beaumont und Sedan sich unvergleichlich besser schlug als irgendwo die Rheinarmee. Am 16. haben nur Division Cissey, Gardedivision Picard, 75., 93. Ligne Canroberts, Division Montaudon Leboeufs den Trikoloren Ehre gemacht, am 18. verfiel das schon vorgestern auskneifende Korps Frossard wiederholt in Panik, Korps Leboeuf benahm sich äußerst schwach, auch bei Canrobert hatte nur die letzte Verteidigung von St. Privat schöne Momente, auch dort gab eine ganze Brigade Fersengeld, die Artillerie leistete nirgends etwas. Nur das Korps Ladmirault, germanisch gemischte Nordfranzosen, bedeckte sich auf der Hochfläche von Amanvillars mit wahrer Ehre und behauptete sich im wesentlichen trotz einer wahren Granatüberschwemmung. Deshalb wird auch stets vom »braven Canrobert« gefabelt und der bescheidene reklamelose Ladmirault übersehen, der einzige gute Unterführer. Wenn das Chassepot also trotzdem ein so entsetzliches Blutbad unter den Deutschen anrichtete, so ergibt sich deutlich, daß Frontalangriff gegen so furchtbare Stellung von vornherein sich verdammt, besonders gegen die Höhen Moscou-Rozerieulles, die man bloß hätte beobachten und nicht im Osten, wo die Nähe der Festung jede Ausnutzung verbot, sondern im Westen mit vereinter Masse umgeben sollen.
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