Bismarck 02
Hahnke berichtet mir soeben, das Hauptquartier sei plötzlich gegen mich. Wissen Sie, was verbreitet wird? Die Frau Kronprinzeß und Ihre Majestät die Königin hätten mich bearbeitet, aus sentimentaler Menschlichkeit vom Bombardement abzustehen.«
»Das ist schändlich«, brauste der Kronprinz auf. »Und ich will wohl meiner Frau den Willen tun? Die Leute kennen uns wenig, wenn sie meinen, unsere Damen könnten so leicht unsere Handlungen leiten, hält Ihre Sachkenntnis die Beschießung für zwecklos, so wird unsere Vernunft sich nicht durch kindische Anwürfe beirren lassen.« So sind tatsächlich alle Legenden, wie sie noch heut als Historie bestehen, hinfällig gewesen. Von Moltke behauptete man auch, er habe als Höfling, da der König zur Zeit recht leidend war, sich dem künftigen Herrn anschmiegen wollen und deshalb dessen Verschleppung der Beschießung befürwortet. Wahr ist freilich, daß der König sich Ottos Ansicht schon früher anschloß und persönlich ein Memoire aufsetzte, das im Archiv des Generalstabs bewahrt wird; nur seine übergroße Bescheidenheit hielt ihn ab, seine eigene Meinung als maßgebend gegenüber Moltke zu betrachten. Otto aber grollte bis zum Tode: die Generale hätten nur aus Rancune gegen ihn die handgreifliche Wahrheit nicht sehen wollen. »Man könnte glauben, sie möchten den Krieg recht lange fortspinnen, damit sie so lange das Heft in Händen haben.« Damit tat er ihnen Unrecht, doch schienen sie wirklich unbelehrbar. Zu Blumenthal kam ein ihm von früher bekannter Herr v. Bouffé mit einem Anliegen und äußerte: »Sie müssen ja doch bald Frieden schließen, Sie können es nicht aushalten. Bei Ihnen grassiert so fürchterlich der Typhus und unser glorreicher Ducrot brach ja durch, und Gambetta vereint sich mit ihm.« Der General sagte hart:
»Die erste Loirearmee ist vernichtet, die zweite geschlagen, Ducrots Ausfall völlig gescheitert, Typhus gibt's überhaupt nicht. Doch ihr Franzosen schwört auf die sinnlosesten Lügen, wenn es eurem kindischen Übermut in den Kram paßt. Ein Volk von Lügnern kann nur Obergenerale brauchen, die fortwährend fälschen und lügen und damit recht haben, weil sie ihr leichtsinniges unwissendes Volk kennen. Ihr werdet euch bis zum letzten Todesstoß in Illusionen wiegen, und während euch ununterbrochen das Messer an der Kehle sitzt, schreien: wir siegen!«
»Mein Herr, die Beleidigung der Großen Nation –«
»Die sich selbst so nennt, die Kleine. Gehen Sie!« Doch die natürliche Logik zog er nicht, daß nur die grobe Stimme der Belagerungsgeschütze den Franzosen und dem Ausland die wahre Lage ausdrücken konnte. –
Ottos alter Freund Eberhard Stolberg, als Vorsteher des Roten Kreuzes im Hauptquartier anwesend, unternahm es als unerschrockener warmherziger Vaterlandsfreund, dem König über den militärischen Boykott die Augen zu öffnen, welchen die Halbgötter über den Staatsmann verhängten. »Solche Ausschließung muß sehr unzuträglich werden, gerade jetzt wo der Frieden näher rückt.«
Der König nickte und meinte halb humoristisch: »Ja, sehen Sie, lieber Graf, die Sache ist so. Im böhmischen Feldzug traf er im Kriegsrat oft den Nagel auf den Kopf, was die Majorität sehr verschnupfte. Da kann man sich nicht wundern, daß die Herren ihr Ressort allein beraten wollen. Für Vermengung der Ressorts bin ich auch nicht.«
»Der Kanzler erklärt jedoch, daß Zuziehung des leitenden Staatsmanns von höchster Wichtigkeit in entscheidenden militärischen Fragen sei, besonders wo alles zum Schlusse drängt.«
»Das verstehe ich recht gut und billige es auch. Aber zurzeit ist nichts zu ändern. Das Prestige des Generalstabs darf nicht geschmälert werden, die Autorität der obersten Heeresleitung würde darunter leiden. Übrigens hat Bismarck ja an Roon einen treuen Vertreter und die Beschießung ist beschlossen, so sehr Moltke abgeneigt war. Der wollte Ende Oktober in Creisau Hasen schießen! Ach, er wird sein Landgut erst nächstes Frühjahr wiedersehen, fürcht' ich. Bismarck hat wie gewöhnlich recht behalten. Ich auch. Ich sagte ja beim Vormarsch auf Paris voraus, daß man die störrige Hartnäckigkeit der Franzosen unterschätzt. Bei uns wäre nicht möglich, daß die Nation ohne ordentliche Regierung und nach Auflösung der Armee so lange Widerstand leistet. Von Jena will ich gar nicht reden, aber überhaupt –! Gottlob haben wir eben deshalb die bessere Vorbereitung. Daran muß immer festgehalten werden. Sagen Sie
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