Bismarck 02
Opfer galt, eine militärische Pflichtlosigkeit aus moralischem Pflichtgefühl, das ein Feldherr nicht kennen darf. Dieser Mangel an schneller Auffassung und Initiative kränkelte die deutsche Kriegführung mit des Gedankens Blässe an, selbst Friedlich Karl erwarb sich bei Moltke und Blumenthal im Loirefeldzug den Beinamen Fabius Cunctator, doch sie selber trieben vor Paris dasselbe. Auf rasche Aushungerung zu hoffen, lag gar kein Grund vor, man war sogar ganz genügend über den Starrsinn der Pariser unterrichtet. Die strategische Lage war beklemmend, erst der Fall von Metz und vor allem die Dezembersiege an der Loire machten Luft. Kalt und bitter urteilte der Kanzler: »Diese Siege sind der Unüberwindlichkeit unserer Truppen und nicht der Führung zuzuschreiben.« Die spätere Behauptung, Paris sei erst durch die Beschießung wieder aus lethargischer Erschlaffung zu Tatenmut erwacht, hat gar keinen Sinn. Im Gegenteil nahm von da ab der Widerstand von Woche zu Woche ab, während vorher die Ausfälle sich drängten. Daß der Belagerungspark von vornherein zu spät herangeschafft wurde, steht fest, weil eben Moltke und Blumenthal in ihre Aushungerungsmarotte verliebt blieben. Außerdem hatte man unzählige Waggons mit Speck für die armen Pariser beladen, um sie zu füttern, wenn sie kapitulierten, eine echtdeutsche unmenschliche Menschlichkeitspedanterie. Begreiflich aus allem, daß Otto immerdar dabeiblieb, die englischen oder englisch bearbeiteten Damen hätten durch den Kronprinzen die Beschießung aus Humanitätsdusel hintertrieben, das Mekka der Zivilisation müsse ehrfürchtig geschont werden. Dies Mekka gebar den Propheten Victor Hugo, den Jesaias des gallischen Phrasenblödsinns, das sonst talentlose stärkste Talent formaler Sprachberauschung, den Meister der Deklamationsverpackung winziger Geisteskörner, einen echten Genius der »lateinischen« Rasse, lauter Sauce und kein Braten. »Jedes Haus speie seine Möbel!« Auch ich, der unsterbliche Druide, habe einen Säugling an der Mutterbrust, ergreife er das Chassepot. Pfui über dich, Deutschland, das wir als ehrwürdige Großmutter schätzten, jetzt möchtest du eine gewappnete Walküre sein? Für solchen Umsturz der moralischen Weltordnung mußt du gespießt und in siedendem Öl gesotten werden. –
»Ich verhehle Eurer Majestät nicht die allgemeine Verstimmung in Berlin. Man schreibt Ihrer Majestät der Königin einen Einfluß auf die zahme Kriegführung zu.«
Der alte Herr geriet in heftigen Zorn. »Das ist eine Majestätsbeleidigung, und ich bedrohe jeden, der so etwas äußert, mit schwerer Strafe. Lassen Sie sich das gesagt sein!« Und er hatte ganz recht, denn weder er noch der Kronprinz haben sich je zu einem Einspruch gegen die Beschießung bestimmen lassen, waren vielmehr stets dafür, Moltke und Blumenthal tragen allein die Verantwortung. Da ersterer sah, daß der höchste Herr die Beschießung wünsche, machte er eine Schwenkung dorthin. Roon sah alle Widerstrebenden bitterböse an, der stete Zank rieb ihn fast auf, mit Blumenthal, neben den er sich zufällig bei einem Diner setzen mußte, vermied er jede Aussprache.
Die Kronprinzeß klagte brieflich, es herrsche gegen sie die aufgeregteste Unzufriedenheit, weil sie angeblich im Bunde mit Königin Viktoria franzosenfreundlich wühle. »Ha, das ist eine tiefangelegte Intrige«, tobte Blumenthal. »Das sind diese Zeitungsschreiber. Unsereins kennt ja solch Pack nicht, doch ich habe mir sagen lassen, unsere sind geradeso verworfen wie die französischen. Sie werden entweder aus dem Reptilienfonds gespeist, wie die Demokraten es nennen, und preisen alles, was ein Minister tut, oder sie möchten gespeist werden und schimpfen auf alles. Bücher besprechen sie je nach dem Namen des Autors lobend oder tadelnd, ohne sie gelesen zu haben. Wer ihnen nicht paßt in ihren Kliquen, den erklären sie von Blatt zu Blatt in die heilige Feme, ob konservativ oder liberal, gilt gleich, denn ›unterm Strich‹ sind alle Katzen grau, sagt Gustav Freytag, von dem ich diese Aufklärungen habe. Bloß die politischen oder literarischen Mitbürger mosaischer Konfession müssen immer gelobt sogenannten Deutschen sind kein Jota besser, je alldeutscher sie werden, selbst wenn man sie nicht ausstehen kann, denn in der Presse herrschen mehr oder minder überall die Juden, und die sich gebärden.«
»Ach, Freytag übertrieb!« meinte der Kronprinz zögernd, »Die öffentliche Meinung ist stark. Graf Frankenberg, der
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