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Biss der Wölfin: Roman

Biss der Wölfin: Roman

Titel: Biss der Wölfin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Aufgabe und Teil des Mannes, dessen Rolle er zu spielen beschlossen hat – der sadistische Psychopath, mit dem Mutts ihren Söhnen Angst machen. Angesichts eines solchen Rufs wagt es niemand, sich mit ihm anzulegen, um an den Alpha heranzukommen, und darum geht es ihm dabei. Aber das Problem, wenn man eine Legende ist, besteht darin, dass man ihr gerecht werden muss.
    Manchmal möchte ich mir wünschen, dass die Dinge anders wären, dass wir durch Vernunft und Gerechtigkeit regieren könnten statt durch Macht und Furcht. Aber so weit wird es nicht kommen. Nicht in meiner Zeit. Wie Jeremy kann ich mit Vernunft und Gerechtigkeit regieren, aber niemand würde zuhören, wenn da neben dem Zuckerbrot nicht auch die Peitsche wäre.

    Wir hatten uns kaum auf den Weg zurück ins Hotel gemacht, als ich schließlich damit herausplatzte.
    »Ich hab letzte Woche einen Brief gekriegt. Von einer meiner Pflegefamilien.«
    »Von einem der Männer?«, fragte er. Er wusste, ich nannte sie niemals »Pflegeväter«.
    Ich nickte und schob die Hände in die Taschen. »Wir können später drüber reden. Ich weiß, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Es ist einfach … ich weiß, dass ich drüber reden sollte, und ich versuche dauernd, es zu vermeiden, und jetzt, wo du’s weißt, kannst du … ich weiß nicht. Vergiss einfach …«
    »Es gibt einen verdammt guten Grund dafür, dass du’s gerade jetzt gesagt hast.«
    Er sah zu mir herüber und fing meinen Blick auf. Er hatte recht – natürlich. Was mir da mit Travis Tesler passiert war, brachte etwas ans Tageslicht, das nie sehr tief begraben gewesen war.
    Clay erkundigte sich, wer den Brief geschickt hatte. Er fragte dabei nicht nach einem Namen – er hätte ihn ohnehin nicht erkannt. Es hatte eine Zeit gegeben, ganz am Anfang, nachdem er mich gebissen hatte und verzweifelt versuchte, es wiedergutzumachen – damals hatte er nach Namen gefragt. Er war nicht überrascht gewesen, als ich sie nicht nannte.
    Ich hatte schon vor Jahren an die Children’s Aid Society geschrieben und sie vor den Familien gewarnt, mit denen ich Schwierigkeiten gehabt hatte. Zu diesem Zeitpunkt nahmen die meisten von ihnen keine Pflegekinder mehr an. Was diejenigen betraf, die es taten – da hatte man mir versichert, man würde der Sache nachgehen, und in der Folge verschwanden sie tatsächlich von der Liste. Es waren also keine weiteren Kinder in Gefahr, und nur darauf war es mir angekommen. Nur darauf hatte es mir ankommen sollen.
    Clay war nicht unbedingt der gleichen Ansicht gewesen. Während der Zeit, als wir miteinander ausgingen, hatte er sich einen ehemaligen Pflegebruder von mir vorgenommen, der sich bei mir als Stalker betätigt hatte. Clay hatte ihn brutal verprügelt – ich war dabei, ich hatte zugesehen. Und ich weiß nicht, was mich daran mehr entsetzt hatte, der Anblick oder der Wunsch, ich wäre es gewesen, die zuschlug.
    Das war eine Zeit, in der für uns sehr viel schiefgegangen ist. Damit, dass er von mir die Namen der Männer wissen wollte, die mich missbraucht hatten, hatte Clay sich lediglich an Strohhalme geklammert, hatte verzweifelt nach Möglichkeiten gesucht, mir seine Liebe zu beweisen.
    Auch später noch, bei den Gelegenheiten, wenn ich mit ihm über das sprach, was passiert war, hatte er wohl das Gefühl gehabt, etwas tun zu müssen. Und so hatten wir in wortloser Übereinkunft nie die Namen der betreffenden Männer verwendet. Und so sagte ich auch jetzt, als er fragte, welcher von ihnen den Brief geschickt hatte, nur: »Maple Street.«
    Er fluchte, legte mir den Arm um die Taille, zog mich dichter an sich, während wir die ansteigende Straße zu unserem Hotel hinaufgingen.
    »Er macht gerade eine Therapie«, sagte ich.
    »Elektroschocks?«
    Ich konnte mir das Lächeln nicht verkneifen. »Leider nein. Aber im Rahmen seiner Therapie hat man ihm gesagt, er solle seine Opfer kontaktieren und sie …« – ich verschluckte mich fast an dem Wort – »um Verzeihung bitten.«
    Clays Reaktion darauf fiel aus wie erwartet. Und auch diesmal musste ich lächeln, und wieder wünschte ich mir, ich hätte es ihm gleich an dem Tag erzählt, an dem der Brief eingetroffen war. Es war wie seine Reaktion auf Mallory Hirschs zickiges Benehmen mir gegenüber – es war höchst befriedigend, mir vorzustellen, wie ich ihn auf die Leute losließ, die mir Unrecht getan hatten. Selbst wenn ich wusste, dass ich es niemals wirklich tun würde, dass die Schuldgefühle das Vergnügen

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