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Biss der Wölfin: Roman

Biss der Wölfin: Roman

Titel: Biss der Wölfin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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von Sichtungen, die über ein Jahrhundert zurückreicht – von Touristen über Wochenendjäger zu Leuten, die nur aus den Wäldern herauskommen, wenn ihnen wirklich nichts anderes übrigbleibt.«
    Sie streckte den Arm nach dem hinter ihr stehenden Tisch aus und griff nach einem Ordner, den sie an mich weitergab. Ich öffnete ihn und fand einen dicken Stoß maschinengeschriebener Blätter.
    »Das sind alle Berichte, die ich auftreiben konnte, sowohl schriftliche als auch mündliche. Ich hab sie alle in eine Datenbank getippt. Sie sehen, dass jeder Bericht kodiert ist – eine Farbe und eine Zahl. Die Farbe steht für die Glaubwürdigkeit des Berichterstatters. Grün wäre etwa eine Gruppe vertrauenswürdiger Einheimischer, die alle die gleiche Geschichte erzählen. Rot ein Teenager, der zugibt, dass er sich im Wald betrunken hat. Gelb ist in der Mitte, und es gibt dazwischen noch alle möglichen Abstufungen. Die Zahlen geben an, wie nah die Berichte meiner Einschätzung nach an der am weitesten verbreiteten Kerngeschichte sind. Zehn heißt mitten ins Schwarze. Eins bedeutet, es ist so weit weg davon, dass ich es nur mit aufgenommen habe, um den Job gründlich zu machen.«
    »Sie sind wirklich gründlich.«
    Sie lachte. »Ich bin vielleicht eine Spinnerin, aber ich bin die bestorganisierte Spinnerin weit und breit.«
    »Könnte ich mir den möglicherweise leihen?«
    »Oh, das ist Ihr Ausdruck, den Sie mitnehmen können.«
    Als ich ein paar Seiten umblätterte, sah ich vertraute Wendungen und spürte ein surreales Gefühl von déjà vu. Oder vielleicht auch weniger déjà vu als ein gespenstisches Zusammentreffen von Umständen. Ich hatte ein paar von diesen Seiten schon gesehen … erst vor ein paar Stunden.
    »Geben Sie viele von diesen Kopien raus?«, erkundigte ich mich.
    »Nicht so oft, wie ich nach ihnen gefragt werde. Ich hänge meine Recherchen nicht an die große Glocke – meine Kinder haben auch so schon genug zu leiden –, aber die Leute finden heraus, was ich treibe, so wie Sie es getan haben. Bei den meisten davon ziehe ich es vor, ihre Phantasien nicht noch zu ermutigen. Wenn ich ihnen das hier gäbe, würden sie die Umgebung nach Belegen dafür absuchen und auf alles schießen, was sich bewegt – und nicht nur mit der Kamera.«
    »Das ist dann im Moment also die einzige Version?« Ich versuchte es beiläufig klingen zu lassen, fast geistesabwesend, während ich die Seiten überflog.
    »Einer anderen Person habe ich es dieser Tage noch gegeben. Einem Freund von mir.« Sie errötete. »Ich nehme an, Freund ist eine etwas optimistische Bezeichnung. Ein Bekannter eigentlich. Er interessiert sich für den Ijiraat-Mythos und kennt jemanden bei der Polizei. Mein Name und meine Theorie sind wohl zur Sprache gekommen, als sie sich über die Todesfälle unterhalten haben, und daraufhin hat er sich bei mir gemeldet.«
    »Er interessiert sich für den Mythos? Ein Akademiker?«
    »Nein, nein. Er ist Elektriker. Es ist für ihn einfach ein Hobby, obwohl es ihm ernst ist damit. Kein Fanatiker, wohlgemerkt. Einfach ein intellektuelles, aber nicht professionelles Interesse an der Sache, so wie bei mir. Wir haben uns da ziemlich gut verstanden.«
    Sie nippte an ihrem Wein. »Da fällt mir ein, ich habe seit einer Weile nichts von ihm gehört, und ich habe ein Buch gefunden, nach dem er sich erkundigt hat. Ich sollte ihn anrufen. Vielleicht zum Abendessen einladen.« Ein Seitenblick zu mir hin. »Sähe das zu aufdringlich aus?«
    Ich hatte im Lauf der Jahre ein gutes Pokergesicht entwickelt, aber es fiel mir schwer, es beizubehalten, als ich antwortete, sie sollte es doch tun … in dem Wissen, dass das Date nie zustande kommen würde. Ich konnte mir die Überlegung nicht verkneifen, dass es schön gewesen wäre, wenn Dennis und Lynn dieses Abendessen hätten vereinbaren können.
    »Wissen Sie, was ihn auf dieses Thema gebracht hat?«, fragte ich. »Leute, die urplötzlich ein ernsthaftes Interesse am Paranormalen entwickeln … Na ja, meiner Erfahrung nach brüllt das ›Begegnung‹.«
    Ich sah ihr an, dass ihr die Frage etwas unbehaglich war.
    Also sprach ich schnell weiter: »Entschuldigung, ich meine damit nicht, dass ich es für den Artikel wissen will. Hope hat einen Grundsatz – sie veröffentlicht nie etwas, das sie nicht aus erster Hand bekommen hat. Es war einfach persönliche Neugier. Wenn man solche Sachen bearbeitet, kann man irgendwann nicht mehr anders, als … Beweise sehen zu wollen, nehme

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