Bissig! (German Edition)
dieser Léon und lächelte. Die Berührungen der olivfarbenen Augen erschienen Usher wie Finger, die seine Haut streiften. Er kam sich nackt vor, obwohl er zumindest seine Hose noch anhatte.
Léon dagegen trug ein perfekt geschnittenes Jackett mit einem leicht altertümlich anmutenden Hemd. Usher spürte eine düstere Aura. War das ihr Vampir? Wenn er ein Blutsauger war, hatten sie in Léon sicher auch den Mörder des Mädchens gefunden. Aber vielleicht zog der Fall noch größere Kreise, als Usher jetzt überblicken konnte.
„Was wollen Sie von mir?“ Bebend saugte er den Atem ein, denn Léon streichelte mit einer Fingerspitze an seinem Kiefer entlang. Dann trat der große Mann näher und folgte der Kontur seiner Unterlippe mit dem Daumen.
„Wir sind uns bereits begegnet, Mr. Grey. Damals waren Sie ein Fotomodel und haben mich sehr beeindruckt. Sie waren anders als Ihre Kollegen, ich habe etwas in Ihnen gespürt, das mich magisch angezogen hat. Leider habe ich keine Möglichkeit gefunden, mich Ihnen zu nähern. Die Traumfee hatte Ihren Geist ein wenig verwirrt, darum musste ich Abstand zwischen uns bringen.“ Ein leises Lachen begleitete seine Worte. „Später an diesem Tag waren Sie leider wie vom Erdboden verschluckt.“
Usher hatte das Gefühl, seine Brust würde enger, das Atmen fiel ihm schwer. Ja, er erinnerte sich dunkel, den faszinierenden Mann mit dem eindringlichen Blick bei einem Shooting gesehen zu haben. Gemeinsam mit anderen Models hatte sich Usher in einem Hinterraum ein paar Lines reingezogen und sie hatten im Koksrausch gevögelt wie die Wilden.
Das musste in einem anderen Leben gewesen sein … Heute hatte er einen anderen Stil und verstand seine eigenen Eskapaden aus dieser Zeit nicht mehr. Sein Herz pochte schneller, denn allein die Tatsache, dass Léon ihn von damals kannte, gefiel ihm nicht. Und er hatte ihn gewollt?
„Es ist vorbei, Maus“, flüsterte Raven mit zittriger Stimme und ließ den Seitenschneider sinken. „Wir haben es geschafft.“
Mit flinken Fingern löste Raven den Sprengstoffgürtel vom Bauch seiner Tochter und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. Er schloss sie in seine Arme und hielt sie wortlos fest.
„Papa, ich muss immer noch Pipi“, meldete sie sich ungeduldig. Viviens Worte rissen Raven aus seiner Starre.
„Geh schnell hinter den Strauch da, hier ist eh kein Mensch, der das sieht. Später kannst du dann erzählen, das FBI hat das Washington Monument geräumt, damit du in Ruhe pinkeln konntest. Hier, nimm ein Taschentuch mit.“
Er zwang sich, ruhig zu atmen, während er Vivien nachschaute. Das war das Härteste, was er je in seinem Leben getan hatte, und er wusste genau, dass ihn diese Aktion noch jahrelang in seinen Träumen verfolgen würde – jedoch mit anderem Ausgang.
Während Vivien zum nächsten Busch rannte, hob Raven nachdenklich den Sprengsatz auf. Dabei bemerkte er seine durchgescheuerte Anzugshose und die beiden blutenden Knie. Sofort spürte er auch den stechenden Schmerz. Das war ja klar. Genervt ignorierte er ihn und gab stattdessen bei Jess Entwarnung.
Aus der Ferne hörte er den Jubel der SWAT-Truppe und lächelte benommen. Raven hatte seine Finger tief in einen Klumpen der explosiven Knetmasse gegraben, angewidert pulte er sie wieder heraus.
Das C4 gehörte normalerweise in das Lager von Beweismitteln beim FBI – aber keine Vorschrift besagte, dass solche Sachen dort umgehend abgeliefert werden mussten. Vielleicht würde er den Sprengsatz in sein Auto legen und hoffen, dass man ihn beim FBI vergaß. Diesem Bastard von Entführer würde er das C4 gern persönlich dorthin schieben, wo die Sonne nicht schien.
Grinsend hüpfte Vivien wieder auf ihn zu. „Jetzt habe ich Hunger!“, verkündete sie und schob ihre Hand in seine. Ravens Herz wurde warm. Manchmal war es einfach schön, ein Vater zu sein. Die Anspannung in seinem Inneren ließ langsam nach.
„Jess kann uns erstmal zum Essen einladen“, stimmte Raven zu, als ein Sanitätertrupp auf sie zukam, mit Jess und Jerry im Gefolge.
„Es ist alles in Ordnung, Sie können gehen“, wies er die medizinischen Helfer an und ließ sich von Jess in eine kräftige Umarmung ziehen.
„Dann komm, Jess“, sagte er grinsend. „Wir haben Hunger.“
Zwei Stunden später saßen sie alle im Büro. Es war schon kurz nach sieben, Vivien war auf Ravens Schoß gekrabbelt und döste. Raven strich ihr sanft über den Kopf. Er hatte beschlossen, sie erst ins Internat zurückzubringen, wenn
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