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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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war.«
    Kaiser nickt. »Sicher, aber bevor wir nicht einen Verdächtigen haben, gibt es auch keine Proben, die wir vergleichen könnten.«
    »Zugegeben. Allerdings habe ich überlegt … Speichel enthält noch mehr als nur dna, wissen Sie? Wir müssen alles in Erfahrung bringen, was die Speichelspuren uns sagen können.«
    »Beispielsweise? Was wollen Sie tun?«
    »Ein paar einfache Experimente aus dem neunzehnten Jahrhundert. Heutzutage denken alle, dna-Analyse wäre das A und O aller Forensik. Prima, großartig. Doch in einem gewöhnlichen Mund gibt es außerdem Streptokokken und alle möglichen anderen Bakterien. Nehmen Sie eine Speichelprobe aus einer von Quentin Baptistes Wunden, geben Sie die Probe in eine Petrischale und warten Sie ab, was sich daraus entwickelt. Vielleicht enthält sie seltene Keime, die uns mehr verraten. So ähnlich, als würden wir einen Leichnam aufschneiden, um herauszufinden, was er wo zu Abend gegessen hat. Verunreinigungen und so weiter, wissen Sie?«
    Kaiser sieht skeptisch aus. »Was könnten wir daraus ableiten?«
    »Ich weiß es nicht. Wir könnten herausfinden, ob unser Verdächtiger an einer bestimmten Krankheit leidet. Wir sollten es auf jeden Fall versuchen, oder? Vielleicht stoßen wir zufällig auf etwas. Genau wie Sean, der den Kautionssteller angerufen und herausgefunden hat, dass meine Tante Ann die Kaution für Malik gestellt hat.«
    »Sie haben Recht. Ich sage der Spurensicherung Bescheid, damit sie sich gleich an die Arbeit macht.«
    »Beeilen Sie sich. Baptiste hat den einzigen Speichel, der noch zu gebrauchen ist, und diese Kulturen benötigen Zeit.«
    »Schon erledigt.« Er geht zur Tür, dann wendet er sich ein letztes Mal um. Seine Stimme klingt bedauernd. »Hey. Sind Sie wirklich schwanger?«
    Ich nicke schweigend.
    »Ist Sean der Vater?«
    »Ja.«
    Er schließt für einen Moment die Augen, bevor er mich wieder ansieht. »Werden Sie das Kind austragen?«
    »Ja.«
    Er blinzelt nicht einmal. »Das ist gut.«
    Ich habe weder gesehen noch gehört, wie die Schwester in das Zimmer gekommen ist. Das Valium hat mich sanft aus der lebenden Welt getragen wie ein Strom aus Grey Goose. Vielleicht hat der Alkoholentzug mich hypersensibel für Drogen gemacht. Was immer der Grund sein mag, ich gleite ohne jede Störung an der weißen Korallenwand hinunter in meinen Traumozean, und die Myriaden Bilder meines Unterbewusstseins tanzen um mich herum wie Kinder, die den ganzen Tag in einem Haus eingesperrt waren.
    Die Zeit fließt vorwärts und rückwärts in meinen Träumen. Nicht, dass sie sich meinen Wünschen fügen würde, das nicht. Wenn Einbrecher mich jagen und im Begriff stehen, mich von hinten mit ihren Klauenhänden zu packen, kann ich die Zeit nicht umkehren, um mich in Sicherheit zu bringen. Doch die Ereignisse in meinen Träumen entfalten sich nicht immer in der normalen Abfolge. Manchmal werde ich immer jünger, je weiter mein Traum voranschreitet – oder besser: zurückschreitet –, und ich werde beispielsweise bei einer Geburtstagsparty ein Jahr jünger, von neun auf acht. Doch ich war noch nie jünger als acht. Jene Nacht, in der mein Vater starb, ist für mich wie eine Wand aus Obsidian, eine unverrückbare physikalische Mauer, die Newton oder Einstein oder vielleicht sogar Gott in meinen Weg gestellt hat. Das Schild auf dieser Wand lautet nicht: hinter dieser stelle lauern monster, wie esin der Legende antiker Karten zu finden ist. Es lautet: hinter dieser stelle lauert das nichts.
    Nichts. Existiert so etwas wie das Nichts überhaupt? Ich habe Kinder diese Frage stellen hören: Ist denn »Nichts« nicht auch irgendetwas? Raum ist etwas, oder? Zeit existiert ebenfalls. Und Gravitation. Unsichtbare Dinge vielleicht, doch real genug, um einen umzubringen, wenn man sie nicht berücksichtigt. Ich habe existiert, bevor ich acht Jahre wurde, auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann. Ich weiß, dass ich damals existiert habe, wie ich weiß, dass ein Arzt mir die Mandeln gezogen hat, während ich unter Vollnarkose war. Irgendetwas ist passiert, selbst wenn ich mental nicht zugegen war.
    Ich trage die Narben, um es zu beweisen.
    Meine Narben sind mit bloßem Auge nicht sichtbar, doch sie existieren. Wenn ein Kind für ein ganzes Jahr aufhört zu reden, dann gibt es einen Grund dafür. Irgendjemand, irgendetwas hat mich verletzt, selbst wenn es etwas war, das nur ich gesehen habe. Doch was habe ich gesehen? Acht Jahre voll verlorener Bilder. Sind sie in einem Loch

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