Bisswunden
jenes kostbarste aller Geschenke – traumlosen Schlaf. Als Michael mich weckt, zeigt die Uhr auf dem Nachttisch neben dem Bett 11:30 p. m. Ich fühle mich weder ausgeruht noch müde.
Ich fühle mich einfach nur taub.
Der Raum ist voller Schatten, die das Licht im Badezimmer erzeugt. Michael hat einen Stuhl zum Bett gezogen. Er beobachtet mich, als wäre ich eine Patientin an der icu. Wenigstens hat er nicht gefragt, wie ich mich fühle.
»Was möchtest du jetzt machen?«, fragt er.
»Ich weiß es nicht. Was soll ich deiner Meinung nach tun?«, entgegne ich.
»Weiterschlafen. Abwarten, wie du dich morgen früh fühlst. Ich schlafe oben in einem der Gästezimmer. Wenn du mich brauchst, kannst du mich jederzeit übers Mobiltelefon erreichen.«
»Ich will heute Nacht nicht allein sein.«
Er antwortet nicht. Er blinzelt nicht einmal.
»Ich versuche nicht, mich dir an den Hals zu werfen oder so was«, sage ich zu ihm. »Ich möchte jetzt nur nicht allein sein. Verstehst du?«
Er hebt eine Augenbraue und sieht mich an. »Das ist das erste Mal, dass eine Frau mir droht, sich umzubringen, wenn ich nicht mit ihr ins Bett gehe.«
Ich versuche zu lachen, aber ich kann nicht. Ich habe keine Kraft mehr dazu. Ich rutsche auf die andere Seite des Bettes und schlage die Decke zurück. Michael starrt auf die leere Hälfte, dann steht er auf und geht ins Badezimmer. Als er zurückkommt, hat er eine blaue Boxershorts und ein Emory University T-Shirt an. Er setzt sich auf die Bettkante, stellt seinen Wecker und schlüpft dann unter die Decke, die er bis zur Brust hinaufzieht.
Es ist eine schräge Parodie von Eheleben, wie wir beide auf dem Rücken daliegen und an die Decke starren, als wären wirseit zwanzig Jahren verheiratet und hätten uns schon vor langer Zeit alles gesagt, was es zu sagen gibt. Ich erwarte, dass er anfängt zu reden, dass er mich mit Fragen überhäuft, doch das tut er nicht. Was mag er von mir denken? Bedauert er den Augenblick, als er in seinen Garten gegangen und das Netz genommen hat, um mich vom Grund seines Swimmingpools zu retten?
Zaghaft taste ich mit der Hand über die kühle Bettdecke und nehme die seine. Die Berührung hat nichts Sexuelles. Ich halte seine Hand, wie ich vor langer Zeit die Hand meines Vaters gehalten haben muss – bevor er unsere Beziehung in ein perverses Zerrbild väterlicher Liebe verwandelt hat. Es dauert eine Weile, doch dann erwidert Michael meinen Händedruck. Ich kann mich irren, doch es fühlt sich an, als würde er zittern. Ich bin sicher, dass es ihm nicht recht ist, wenn ich es bemerke, also sage ich nichts.
Es dauert eine Weile, bis mir noch etwas anderes bewusst wird. Michael ist erregt. Ich weiß es, ohne dass ich seine Erektion an mir spüren muss. Es hat irgendetwas mit der Art und Weise zu tun, wie er daliegt, eine gewisse Anspannung in seinem Körper. Dieses Wissen bewirkt seinerseits etwas in meinem Körper. So war es immer. Ich spüre kein Verlangen, sondern eine Art Zwang oder vielleicht sogar Verpflichtung. Auf die gleiche Weise, wie ein Streichholz existiert, um angerieben, oder eine geladene Waffe, um abgefeuert zu werden, so stellt ein erigierter Penis ein Potenzial dar, das auf seine Freilassung wartet. Ich habe gesehen, wie eine geladene Waffe einen Raum voll gelangweilter Männer in Sekundenbruchteilen hellwach gemacht hat. In dem Augenblick, in dem eine Patrone in die Kammer geschoben wird, verwandelt sich die vorher leblose Waffe zu etwas Gefährlichem, das man unmöglich ignorieren kann. Auf mich hat Michaels erigierter Penis in diesem Augenblick genau die gleiche Wirkung.
»Ich kann dir damit helfen«, sage ich leise.
»Was?«
Ich dränge meine Hüfte gegen seine. »Damit.«
»Woher weißt du …?«
»Ich weiß es eben.«
Er starrt weiterhin an die Decke. »Warum solltest du das tun?«
»Ich weiß nicht. Weil du es brauchst. Du kannst mich küssen, wenn du magst.«
Er schweigt für eine ganze Weile. Dann sagt er: »Ich möchte dich nicht küssen. Nicht jetzt. Nicht auf diese Weise. Für das andere kann ich nichts. Ich hab wirklich schon verdammt lang eine Schwäche für dich, aber ich möchte nicht das sein, was andere Männer für dich waren.«
Ich drücke seine Hand. »Wir müssen nicht miteinander schlafen. Ich kann es dir mit der Hand machen. Oder … was immer du möchtest.«
Michael zieht seine Hand von mir weg, und ich höre, wie sein Atem stoppt. Dann dreht er sich auf die Seite und sieht mich an. Ich kann seine Augen
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