Bisswunden
warten. Ich ziehe mein Mobiltelefon hervor und lasse mir die Nummer von Dr. Harold Shubb in New Orleans geben. Bevor ich es mir anders überlegen kann, lasse ich mich automatisch verbinden und identifiziere mich gegenüber der Sprechstundenhilfe von Dr. Shubb als eine Zahnarzt-Kollegin.
»Einen kleinen Augenblick bitte, Doktor Ferry«, sagt die Frau.
Ich warte einige Sekunden, dann meldet sich ein Mann, der im ersten Moment ungehalten wirkt, weil er von seinem Patienten weggerufen wurde. »Cat Ferry! Ich wusste immer, dass dieser Anruf irgendwann kommen würde! Ich habe mich zugleich darauf gefreut und mich davor gefürchtet. Was ist passiert? Hat es einen Flugzeugabsturz gegeben?«
Dr. Shubb hat natürlich angenommen, dass ich anrufe, um die diu zu aktivieren, da es einen Katastrophenfall gegeben hat. »Nein, Harold«, antworte ich. »Allerdings ist der Grund meines Anrufs fast genauso ernst.«
»Was ist denn los? Was kann ich für Sie tun?«
»Haben Sie die Nachrichten über den Mörder verfolgt, der seit vier Wochen in New Orleans sein Unwesen treibt?«
»Ja, sicher.«
»Es gibt Bisswunden an den Leichen.«
»Tatsächlich? Davon wusste ich nichts.«
»Die Polizei bewahrt der Öffentlichkeit gegenüber Stillschweigen. Was ich Ihnen jetzt erzähle, bleibt unter uns, ja?«
»Das ist doch selbstverständlich, Cat.«
»Wir – das heißt, die Sonderkommission, die an dem Fall arbeitet – haben einen Verdächtigen. Er ist einer von Ihren Patienten, Harold.«
Betäubtes Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Gütiger Gott!«, stößt Harold schließlich aus. »Nehmen Sie mich auf den Arm, Cat?«
»Nein.« Ich höre seinen Atem, flach und unregelmäßig.
»Darf ich fragen, wer es ist?«
»Noch nicht, Harold. Das ist ein inoffizieller Anruf, wenn Sie verstehen.«
Eine weitere Pause. »Ich bin nicht sicher, Cat.«
»Das fbi wird sich wahrscheinlich im Laufe des Tages mit Ihnen in Verbindung setzen – offiziell –, um einen Blick auf Röntgenaufnahmen zu werfen, die Sie möglicherweise von diesem Patienten gemacht haben. Das nopd allerdings möchte, dass Sie und ich zuvor eine kleine, inoffizielle Unterhaltung miteinander führen.«
»Ich höre.«
»Ich fürchte, dass jedes Gespräch über Röntgenaufnahmen oder Zähne, das wir miteinander führen, später die Gerichtsverhandlung platzen lassen könnte.«
»Damit könnten Sie Recht haben«, sagt Dr. Shrubb. »Falls Sie keinen Gerichtsbeschluss besitzen, meine ich.«
»Nun, ich habe mir gedacht, wir könnten eine ganz allgemeine Unterhaltung über diesen Patienten führen, ohne in seinen Mund zu blicken. Hätten Sie ein Problem damit?«
»Schießen Sie los, Cat. Ich werde es keiner Menschenseele verraten.«
Ich bete, dass er die Wahrheit sagt. »Der Name des Verdächtigen lautet Nathan Malik. Er ist …«
»Ein Seelenklempner«, beendet Shubb meinen Satz. »Heilige Scheiße! Er ist ein Psychiater, kein Psychologe, und er achtet peinlich darauf, dass man es in den ersten fünf Sekunden erfährt. Ich habe Malik ziemlich häufig in meiner Praxis gehabt. Allein dieses Jahr zwei Wurzelbehandlungen. Ärzteachten selten auf ihre Zähne, wie Sie wahrscheinlich wissen. Ich wünschte nur …«
Harold Shubb verstummt. Dann stößt er einen lang gezogenen Pfiff aus, als würden ihm jetzt erst die Implikationen unserer Unterhaltung bewusst. Ich kämpfe gegen das Bedürfnis an, die Bisswunden auf den Opfern zu beschreiben. Wir könnten wahrscheinlich in weniger als einer Minute Nathan Malik als Täter der nomurs-Morde festnageln oder ausschließen. Doch in einem so sensiblen Fall müssen wir die Vorschriften bis auf den Buchstaben getreu beachten.
»Was für ein Mensch ist Nathan Malik, Harold?«
»Ein seltsamer Vogel. Unglaublich clever. Ein wenig beängstigend, um die Wahrheit zu sagen. Kennt sich mit allem ein wenig aus. Sogar mit Zähnen.«
»Tatsächlich?« Es kommt selten vor, dass ein Arzt sich mit Zähnen auskennt.
»Der Bursche ist mir nicht geheuer. Er steht nicht sonderlich auf Smalltalk, auch wenn er einen verschlagenen Sinn für Humor besitzt. Und er strahlt eine unglaubliche Intensität aus. Sie kennen den Typ?«
»Ich denke schon. Hat Malik über seine Herkunft gesprochen?«
»Nicht viel. Ich glaube, er kommt ursprünglich aus Mississippi. Genau wie Sie.«
»Tatsächlich? Liege ich mit dreiundfünfzig Jahren ungefähr richtig?«
»Ungefähr, ja. Er ist in guter Verfassung, mit Ausnahme seiner Zähne. Ich könnte in meinen
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