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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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von Männern schießen, fünfmal im vergangenen Monat, um sie anschließend mit einem Schuss in den Kopf endgültig zu töten.
    Mit einer einzigen fließenden Bewegung erhebt sich Nathan Malik aus seinem Sessel und deutet auf ein Sofa gegenüber dem Schreibtisch. Schwarze Lederquader in einem verchromten Rohrrahmen – ein Möbel von Mies van der Rohe, vielleicht auch nur eine Kopie. Während ich mich setze, werfe ich einen raschen Blick in den Raum, doch es gibt so wenig Dekorationen, dass ich kaum Einzelheiten erkenne. Warmweiße Wände, Teakholzregale, zwei große Gemälde in extremem Hochformat, die chinesisch aussehen. Zu meiner Linken hängt ein Samuraischwert, dessen Klinge bedrohlich funkelt. Zu meiner Rechten steht auf einem Sideboard ein Steinbuddha, der echt genug aussieht, um irgendwo in einem asiatischen Dschungel gestohlen worden zu sein.
    »Der Buddha gefällt jedem«, sagt Malik und nimmt wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.
    »Woher haben Sie ihn? So einen Buddha habe ich noch nie gesehen.«
    »Ich habe ihn aus Kambodscha mitgebracht. Er ist fünfhundert Jahre alt.«
    »Wann waren Sie dort?«
    »Neunundsechzig.«
    »Als Soldat?«
    Ein dünnes Lächeln spielt um Maliks Lippen. »Als Eroberer. Ich bedaure, dass ich den Buddha gestohlen habe, auch wenn ich heute froh bin, ihn zu besitzen.«
    Hinter dem Psychiater hängt ein großes gemaltes Mandala, ein rundes geometrisches Muster aus leuchtenden Farben, die in einem labyrinthartigen Muster verflochten sind und dazu dienen sollen, Kontemplation im Betrachter zu erwecken. C. G. Jung war fasziniert von Mandalas.
    »Ich bin außerordentlich froh, dass Sie gekommen sind«, sagt Malik.
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Ich dachte eigentlich, Sie würden auftauchen, um meinen Gebissabdruck zu nehmen, aber stattdessen kam ein ziemlich hässlicher kleiner fbi-Zahnarzt.«
    Ich bin verwirrt. »Man hat Abdrücke von Ihrem Gebiss genommen?«
    »Nein, merkwürdigerweise nicht. Ich nehme an, es liegt daran, dass meine Röntgenaufnahmen ausgereicht haben, um mich als Verdächtigen auszuschließen. Allerdings hat man mir eine Speichelprobe entnommen, für eine dna-Analyse.«
    Ich sitze auf meinem Platz wie Lauren Bacall in den alten Filmen, die Knie zusammen, aber sichtbar unter dem Rocksaum, die Füße in den Sandalen ein klein wenig nach hinten, unter mich geschoben. Während Maliks Blicke auf meinen Knien verweilen, dämmert es mir, dass ich hier bin, um die übliche Dynamik einer psychiatrischen Praxis umzudrehen unddem Arzt Informationen zu entlocken anstatt umgekehrt. Und da Malik aller Wahrscheinlichkeit nach ein Experte in verbalen Spielchen ist, beschließe ich, direkt zu sein.
    »Woher wussten Sie, dass ich etwas mit diesem Fall zu tun habe, Dr. Malik?«
    Er winkt ab, als hätte ich ihn mit einer Trivialität belästigt. »Das fbi wollte auch ein paar Haare, aber wie Sie sehen …« Er deutet auf seinen kahlen Schädel und lacht.
    Malik testet mich. »Wenn das fbi hergekommen ist, um Haare von Ihnen zu nehmen, hat es sie auch bekommen. Auf die eine oder andere Weise. Es sei denn, Sie sind zwischen den Beinen ebenfalls kahl, was ich bisher noch nicht erlebt habe.«
    »Oje. Sie scheuen wirklich nicht zurück vor den irdischen Realitäten, wie?«
    »Haben Sie etwas anderes erwartet?«
    Er zuckt die Schultern, offensichtlich amüsiert. »Ich weiß es nicht. Ich war neugierig, wie Sie sich entwickelt haben. Ich meine, ich habe Sie anhand von Zeitungsberichten verfolgt, aber in solchen Storys finden sich nur selten bedeutungsvolle Einzelheiten.«
    »Und? Was denken Sie?«
    »Sie sind immer noch ausgesprochen attraktiv. Darüber hinaus sehe ich nichts, das ich nicht schon vorher gewusst hätte.«
    »Ist das der Grund, weshalb ich hier bin? Sie wollten wissen, wie ich mich entwickelt habe?«
    »Nein. Sie sind hier, weil nichts von alledem zufällig ist.«
    »Was?«
    »Unsere Juxtaposition in Raum und Zeit. Wir kannten uns vor einer Reihe von Jahren, scheinbar flüchtig nur, und nun begegnen wir uns erneut. Synchronizität, wie C. G. Jung es nannte. Ein scheinbar nichtkausaler Zusammenhang zwischen Ereignissen, die auf Menschen und ihr Leben große Auswirkung haben können.«
    »Ich nenne so etwas Zufall. Wir sind uns nicht begegnet, bevor Sie nicht um dieses Treffen gebeten haben.«
    »Es wäre früher oder später geschehen.«
    In mir keimt der Wunsch auf, Malik zu fragen, ob er meinen Vater kannte, doch mein Instinkt führt mich zunächst in eine andere Richtung.

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