Bisswunden
»Fahren Sie auf mich ab, Dr. Malik?«
»Wie bitte?« Gespieltes Unwissen steht dem Psychiater nicht sonderlich gut.
»Kommen Sie schon. Interessieren Sie sich für mich? Sind Sie in mich verliebt? Scharf auf mich?«
»Reagieren viele Männer so auf Sie?«
»Genug.«
Er nickt unmerklich. »Das kann ich mir denken. Die Männer haben Ihnen schon an der umc aus der Hand gefressen. All diese Ärzte in den Vierzigern haben nach Ihnen gegeifert wie nach einer läufigen Hündin.«
Malik benutzt das Wort Hündin wie jemand, der Hunde züchtet, als spräche er über eine unterlegene Spezies, weit unter ihm auf der Leiter der Evolution.
»Wenn ich mich recht entsinne, waren Sie einer von ihnen«, entgegne ich.
»Sie sind mir aufgefallen. Das gebe ich gerne zu.«
»Warum bin ich Ihnen aufgefallen?«
»Sie waren ungewöhnlich. Wunderschön, höchst sinnlich, Sie haben getrunken wie ein Fisch und konnten bei Unterhaltungen mit zwanzig Jahre älteren Leuten mithalten. Außerdem war ich gelangweilt.«
»Sind Sie heute auch gelangweilt?«
Ein dünnes Lächeln. »Nein. Es kommt nicht oft vor, dass ich mich vor einem Livepublikum unterhalte.«
Ich schiebe meinen Rock ein wenig hoch und öffne die Beine weit genug, dass Malik den Sender sehen kann, der an die Innenseite meines Oberschenkels geklebt ist.
»Hallo, alle zusammen«, sagt er. »Einer wie der andere, alles Voyeure.«
»Wenn wir fertig sind mit den Erinnerungen an alte Zeiten, hätte ich ein paar Fragen an Sie«, sage ich.
»Nur zu. Ich hoffe, es sind tatsächlich Ihre Fragen. Die Vorstellung, dass Sie sich als Sprachrohr für das fbi zur Verfügung gestellt haben, würde mir gar nicht gefallen. Das wäre unter Ihrer Würde.«
»Es sind meine Fragen.«
»Zu Ihren Diensten.«
»Behandeln Sie ausschließlich Patienten mit unterdrückten Erinnerungen?«
Malik scheint zu überlegen, ob er diese Frage beantworten soll. »Nein«, sagt er schließlich. »Ich habe mich zwar auf die Wiederherstellung verlorener Erinnerungen spezialisiert, doch ich behandle auch Patienten mit bipolaren Verhaltensstörungen und posttraumatischem Stresssyndrom.«
»ptsd allein in Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch?«
Erneutes Zögern. »Ich behandle auch einige Kriegsveteranen.«
»Vietnamveteranen?«
»Ich möchte mich nicht in Einzelheiten über Patienten ergehen.«
Ich will ihn nach seiner Dienstzeit in Vietnam fragen, doch der Zeitpunkt erscheint mir noch nicht günstig. »Ich frage Sie freiheraus – warum wollen Sie der Polizei nicht die Namen Ihrer Patienten geben?«
Jegliche Spur von Gutmütigkeit verschwindet aus dem Gesicht des Psychiaters. »Weil ich meinen Patienten Loyalität und Schutz schulde. Ich würde sie unter keinen Umständen auf diese Weise verraten.«
»Wäre die bloße Enthüllung ihrer Namen denn schon Verrat?«
»Selbstverständlich. Die Polizei würde sich unverzüglich auf sie stürzen und ihr Leben von innen nach außen kehren. Viele meiner Patienten sind extrem instabil. Sie leben inschwierigen Familienverhältnissen. Für einige von ihnen ist Gewalt eine tägliche Erfahrung. Für andere ist sie eine allgegenwärtige Möglichkeit. Ich habe nicht die Absicht, sie wegen irgendwelcher Launen des Staates in Gefahr zu bringen.«
»Irgendwelche Launen des Staates? Die Polizei versucht einen Serienmörder aufzuhalten, der seine Opfer aller Wahrscheinlichkeit nach unter Ihren Patienten auswählt.«
»Keiner meiner Patienten wurde ermordet.«
»Es sind die Verwandten Ihrer Patienten, die ermordet wurden. Von zweien wissen wir es mit Sicherheit, und vielleicht gibt es noch mehr.«
Malik blickt an die Decke. »Vielleicht.«
Seine offensichtliche Selbstgefälligkeit lässt Zorn in mir aufsteigen. »Vielleicht? Für Sie ist es alles andere als vielleicht, oder? Sie wissen, wer sonst noch in Gefahr schwebt, und doch weigern Sie sich, mit der Polizei zusammenzuarbeiten.«
Malik starrt mich schweigend an. Seine dunklen Augen sind völlig ausdruckslos.
»Wie viele der Mordopfer waren verwandt mit Patienten, die Sie behandeln, Doktor?«, frage ich ihn.
»Glauben Sie allen Ernstes, ich würde diese Frage beantworten, Catherine?«
»Bitte nennen Sie mich nicht Catherine. Für Sie bin ich Dr. Ferry.«
Ein Ausdruck der Verwunderung huscht über sein Gesicht. »Ah. Sie sind tatsächlich Doktor?«
»Ja. Ich bin forensische Odontologin.«
»Also im Grunde genommen Zahnärztin.« Maliks Augen funkeln.
»Mit einem höchst spezialisierten
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