Bisswunden
Fachgebiet.«
»Trotzdem … das ist nicht ganz das Gleiche wie ein Doktor, nicht wahr? Haben Sie je bei einer Geburt geholfen? Die Hand in den Brustkorb eines Verwundeten geschoben und sein Herz massiert, damit es weiterschlägt?«
»Nein. Und das wissen Sie.«
»Das weiß ich in der Tat. Sie haben die Universität im zweiten Jahr verlassen. Bevor die klinische Ausbildung überhaupt angefangen hat.«
Malik amüsiert sich unübersehbar. »Haben Sie mich herkommen lassen, um mich zu beleidigen, Dr. Malik?«
»Nein. Ich wollte lediglich klarstellen, wer wir beide sind. Ich hätte gerne, wenn Sie mich Nathan nennen, und ich würde es vorziehen, Catherine zu Ihnen zu sagen.«
»Was halten Sie davon, wenn ich Sie Jonathan nenne? So hießen Sie jedenfalls damals, als wir uns kennen gelernt haben. Jonathan Gentry.«
Die Augen des Psychiaters werden erneut ausdruckslos. »Das ist nicht mehr mein Name.«
»Es ist der Name, mit dem Sie geboren wurden, oder nicht?«
Malik zuckt die Schultern. »Nennen Sie mich, wie Sie wollen, Catherine. Doch bevor wir fortfahren, lassen Sie uns ein für alle Mal diese Frage der Vertraulichkeit zwischen Arzt und Patient klären. Ich sage Ihnen, ich bin durchaus darauf gefasst, ein Jahr ins Gefängnis zu gehen, bevor ich die Privatsphäre auch nur eines einzigen Patienten verletze.«
Es hört sich an, als meinte er es ernst, doch ich kann nicht glauben, dass dieser gebildete, kultivierte Mann tatsächlich bereit ist, für ein Prinzip ins Gefängnis zu gehen. »Sie sind tatsächlich willens, ein Jahr im New Orleans Parish Prison zu verbringen?«
»Ich sehe, dass es Ihnen schwer fällt, dies zu verstehen.«
»Waren Sie jemals im Parish Prison?«
Malik dreht die Handflächen auf seinem Schreibtisch nach oben, als wollte er einem Kind einen komplizierten Sachverhalt erklären. »Ich habe sechs Wochen in der Gefangenschaft der Roten Khmer verbracht. Ein Jahr in einem amerikanischen Gefängnis ist ein Urlaub dagegen.«
Ein Teil meines Selbstvertrauens schwindet. Hinter Nathan Malik steckt offensichtlich eine Menge mehr, als man michglauben gemacht hat. Während ich nachzudenken versuche, wie ich weitermachen soll, stützt der Psychiater seine Ellbogen auf den Tisch, legt die Hände zusammen und beginnt mit einer Stimme zu sprechen, die Jahre der schwer erarbeiteten Weisheit enthält.
»Hören Sie mir zu, Catherine. Sie sind aus der Welt des Lichts hier hereinspaziert. Der Welt der Einkaufspassagen, Restaurants und Feuerwerke zum Vierten Juli. Aber Sie sehen Schatten an den Rändern von allem. Sie wissen, dass schlimme Dinge geschehen, dass das Böse existiert. Sie haben an einer Reihe von Mordfällen mitgearbeitet. Aber das ist größtenteils abstrakt. Die Polizisten, denen Sie Ihr Fachwissen zur Verfügung stellen, sehen mehr von der Realität, doch Cops arbeiten hart daran, sie zu verdrängen. Jedenfalls diejenigen, die sich nicht irgendwann mit der eigenen Dienstwaffe das Leben nehmen.«
Maliks bleiche Wangen röten sich vor Leidenschaft. »Doch hier gibt es keine Verdrängung. In dieser Praxis wird nichts ausgesperrt. Hier kommen die Schatten zum Vorschein und spielen ihr Spiel. Diese Wände haben die verderbtesten Dinge gehört, zu denen Menschen fähig sind, mit allen widerlichen Einzelheiten.« Er lehnt sich im Sessel zurück und spricht leise weiter. »Hier in dieser Praxis, Catherine, habe ich mit dem Schlimmsten zu tun, das es auf der Welt gibt.«
Ich verschränke die Hände vor den Knien. »Meinen Sie nicht, dass Sie die Sache dramatisieren?«
»Glauben Sie?« Malik kichert humorlos. »Was ist die schlimmste Geißel der Menschheit? Krieg?«
»Ich nehme es an. Der Krieg und die Dinge, die mit dem Krieg einhergehen.«
»Ich habe den Krieg gesehen.« Er deutet auf den Steinbuddha, der uns mit leerem Blick vom Sideboard aus anstarrt. »Barbarische Auseinandersetzungen, Mann gegen Mann, und anonymes Gemetzel. Ich wurde angeschossen. Ich habe menschliche Wesen getötet. Doch was ich in dieser farblosenkleinen Praxis gehört habe, ist schlimmer. Viel schlimmer, Catherine.«
Der Psychiater spricht mit solcher Überzeugung, dass ich nicht weiß, was ich erwidern soll. »Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Um Ihre Frage zu beantworten.«
»Welche Frage?«
»Die gleiche Frage, die all Ihre Freunde da draußen in der Welt stellen. ›Warum gibt er uns nicht die Namen seiner Patienten? Was ist schon dabei?‹«
Schweigen breitet sich aus, während ich darauf hoffe, dass
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