Bisswunden
andere Geschichte erzählen?«
»Was für eine Geschichte beispielsweise?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht hatte der Tod meines Vaters irgendetwas mit Vietnam zu tun. Unser Kindermädchen glaubt, dass vielleicht einer der Freunde meines Vaters wegen Drogen gekommen ist und dass sie in Streit geraten sind. Aber was, wenn es um irgendetwas anderes ging, das sich damals in Vietnam ereignet hat?«
»Was soll das denn sein? Der Vietnamkrieg ist seit mehr als dreißig Jahren zu Ende.«
»Sicher. Aber er war noch keine zehn Jahre zu Ende, als mein Vater ermordet wurde. Und ich habe überhaupt keine Ahnung, was er im Krieg gemacht hat.«
Sean will mir eindeutig helfen, aber er hat keine Ahnung, was er tun soll. Wir waren schon früher in derartigen Situationen.
»Hör zu«, sage ich zu ihm, unsicher, ob ich dieses Geständnis machen soll. »Ich habe Kaiser nichts davon erzählt, aber ich habe das Gefühl, als wäre ich Malik schon früher begegnet.«
Sean sieht mich verwirrt an. »Du bist ihm schon früher begegnet. Am University Medical Center in Jackson.«
»Nein, woanders. Und noch früher.«
»Scheiße. Wie das?«
»Das ist es, was ich Malik fragen will.«
»Du machst mir Angst, Cat, weißt du das? Der Typ hat sich tatsächlich so verhalten, als wüsste er Dinge über dich. Hat Kaiser Recht? Könnte es sein, dass du mehr Kontakt mit Malik hattest, als du glaubst, und die Erinnerung daran irgendwie verdrängt hast?«
Ich drehe frustriert die Handflächen nach oben.
»Cat?«
»Ich möchte ins Bett. Sofort.«
»Was denn, Liebe machen?«
»Nein. Schlafen.«
Sean schließt die Augen, dann öffnet er sie wieder und schenkt mir ein leidendes Lächeln. »Okay. Bringen wir dich ins Bett.«
Ich schaffe ein dankbares Lächeln, dann gehe ich an ihm vorbei und die Treppe zu meinem Schlafzimmer hinunter. Ich will mich in mein Bett fallen lassen, doch mein Hygiene-Ritual ist eines der Dinge, die mich in Augenblicken wie diesem zusammenhalten. Es gelingt mir, den größten Teil zu beenden, doch meine Körperlotion muss bis morgen warten. Während ich unter die Decke krieche, kommt Sean herein und setzt sich ganz vorn auf die Bettkante, um nur ja nicht bedrohlich zu wirken.
»Besser jetzt?«, fragt er.
»Nein. Was werden wir tun?«
»Wegen dem, worüber wir eben gesprochen haben?«
Ich schüttele den Kopf. »Wegen uns.«
Er schenkt mir das, was er wahrscheinlich für ein tapferesLächeln hält. »Ich weiß es nicht, Cat. Jetzt, nachdem Kaiser über uns Bescheid weiß … niemand kann vorhersagen, was für Geschichten über uns verbreitet werden.«
»Kannst du sie verlassen, Sean? Sag mir einfach nur die Wahrheit. Kannst du deine Frau und deine Kinder verlassen, um bei mir zu sein?«
Er atmet tief ein und ganz langsam wieder aus. »Ich kann. Ich kann alles aufgeben, um mit dir zusammen zu sein.«
Ich sehe in seinen Augen, dass es die Wahrheit ist. »Aber willst du es auch? Ist es das Beste?«
»Das Beste für wen? Für mich? Ja. Für die Kinder? Das kann ich nicht sagen. Es könnte durchaus das Schlimmste sein, was ihnen jemals widerfahren ist. Es könnte ihr Leben ruinieren.«
Ich schließe die Augen. Ich will niemandes Leben ruinieren. Aber ich will mein eigenes auch nicht verlieren. »Du hast drei Tage, um dich zu entscheiden. Danach bist du entweder ganz in meinem Leben – oder ganz draußen.«
Sean hat bereits viele schlimme Dinge in seinem Leben erfahren, doch meine leisen Worte scheinen einen Schock bei ihm ausgelöst zu haben.
»Ich bin schwanger, Sean. Ich kann nicht länger warten. Ich muss ein richtiges Leben führen.«
Er nickt zögernd. Er begreift. »Kannst du schlafen?«
»Ich würde besser schlafen, wenn du bei mir wärst.«
»Ich kann bleiben.«
»Wie lange?«
»Es ist erst Nachmittag. Fünf oder sechs Stunden vielleicht. Es sei denn, der Killer schlägt erneut zu. Dann muss ich weg.«
»Wenn das geschieht, dann möchte ich, dass du gehst. Aber ich glaube nicht, dass es geschieht.«
Sean tätschelt mir die Schulter, was ich hasse. »Geh schlafen. Ich bin draußen und sehe fern.«
»Weck mich, bevor du gehen musst. Ich will nicht alleine aufwachen.«
»Mach ich.«
Er küsst mich über dem Ohr, was ich mag. Als er das Schlafzimmer verlässt, rücke ich ein Kissen so zurecht, dass es das Licht vom Fenster aussperrt, dann drehe ich mich zur Wand und warte darauf, dass mir die Augen zufallen. Maliks Worte schießen kreuz und quer durch meinen Verstand wie Fledermäuse durch eine
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