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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Höhle. Wie konnte er mir so unter die Haut gehen? Was weiß er über mich, das ich nicht weiß? Und woher weiß er es?
    Seit ich ein Kind war, hatte ich immer das Gefühl, dass die Welt einen Sinn ergibt, einen Sinn, der einer Logik folgt, die sich mir nicht erschließt. Dass die Region meines Verstandes, die die Symbole des Lebens zu dekodieren vermag, durch das chemische Ungleichgewicht in meinem Gehirn für mich nicht zugänglich ist. Nur im Schlaf erreiche ich diese Region, und selbst dann sind die Gesichter verdeckt, die ich sehe, und die Worte verstümmelt, die ich höre, als würden sie unter Wasser gesprochen. Als Teenager habe ich mit Methoden experimentiert, die den Menschen angeblich ermöglichen, ihre Träume zu lenken, doch ich hatte damit kein Glück. Bis heute bleibt mein Unterbewusstsein für meinen wachen Verstand verschlossen, wie zwei feindliche Nationen, die sich an einer schwer bewachten Grenze gegenüberstehen. Wenn ich träume, sind Angst und Verwirrung die vorherrschenden Emotionen. Ich bin eine Fremde in einem fremden Land, die versucht, Zeichen in einer fremden Sprache zu lesen, und darum betet, den Weg zurück in die Sicherheit der wachen Welt zu finden. Nichts von dem, was ich in meinen Träumen gesehen habe, scheint mit dem Tod meines Vaters in Verbindung zu stehen, zumindest nicht der Geschichte zufolge, die man mir stets erzählt hat.
    Während der Schlaf sich langsam über meinen fiebernden Verstand senkt, frage ich mich erneut, ob die Erwachsenen in meinem Leben vor langer, langer Zeit beschlossen haben, mich vor einer Realität zu beschützen, die ihnen zu niederschmetternd erschien, als dass ich sie hätte ertragen können.
    Nathan Malik scheint dies zu denken.
    Wann das Wachsein dem Schlaf weicht, kann ich niemals genau sagen, denn meine Träume sind genauso lebendig wie nur irgendetwas, das ich während meines Wachseins erlebe. Diesmal bin ich zurück auf der Insel, in dem uralten Pick-up meines Großvaters, und fahre zusammen mit ihm über das Land. Er deutet auf Kühe, die neben einem Zaun grasen, während andere in dumpfer Zufriedenheit in einem Wassertümpel stehen. Der beißende Gestank von Tabak brennt in meiner Nase. Die runde Haube des Trucks ist rostig orange und von hunderten von Zusammenstößen verbeult. Der Motor heult gequält, als Großvater den Wagen den langen Hang hinauf zum Kamm des Hügels lenkt.
    Auf der anderen Seite des Hügels liegt ein See. Ich habe viele Male darin gespielt, doch heute fürchte ich mich davor. Irgendetwas Schreckliches erwartet mich dort. Irgendetwas, das ich nicht ertragen kann. Ich weiß, dass es dort ist, doch mein Großvater weiß es nicht. Ich kann ihn nicht warnen. Mein Mund ist zugeklebt. Ich kann nur auf dem abgewetzten Sitz aus Plastikleder sitzen, die Augen fest zusammengepresst, und dafür beten, dass Gott uns vor dem Entsetzen verschonen möge, das uns erwartet …
    Plötzlich ertönt ein Donnerschlag, und ich erwache in gewalttätiger Dunkelheit. Rings um mich herum tobt eine Schlacht, massige Arme schlagen um sich, Fäuste zerbrechen Knochen. Ich will davonrennen, doch ich bin an mein Bett gefesselt. Die Kämpfenden toben in lautloser Raserei um mich herum und über mich, und ihre Absichten sind nichts als töten. Ich habe diese Schlacht auch früher schon gesehen, doch dieses Mal – im Gegensatz zu all den anderen Nächten davor – sehe ich das Weiß zweier Augen unter der schwarzen Maske vor einem Gesicht. Als das Gesicht sich dem Schlafzimmerfenster zuwendet, erkenne ich meinen Vater.
    Und ich schreie.

20
    I ch öffne die Augen, und es ist dunkel. Ich weiß, dass die Albträume vorbei sind, weil die kleinen Zähne wieder an meinen Adern nagen.
    Ich brauche etwas zu trinken.
    Die Uhr auf meinem Nachttisch zeigt 5:53 morgens. Ich habe mehr als zwölf Stunden geschlafen. Sean ist wahrscheinlich längst weg. Er hat versprochen, mich zu wecken, bevor er fahren muss, doch es ist Morgen, und ich liege allein in meinem Haus. Es überrascht mich nicht sonderlich. Sean hat schon früher Versprechen mir gegenüber gebrochen. Ich habe selbst ein paar gebrochen. Ehebruch ist schließlich nichts Märchenhaftes.
    Sean liegt in diesem Augenblick wahrscheinlich mit seiner Frau im Bett. Bald wird er aufwachen und zur Außenstelle des fbi fahren, um mit Kaiser und den anderen weiter an der Lösung des Falles zu arbeiten. Sie werden die Bänder meiner Unterhaltung mit Malik auseinander pflücken und ein weiteres Mal jedes Indiz und jede

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