Bisswunden
gemacht hat.
Ich weiche vom Weg ab und nähere mich dem alten Mann bis auf ein paar Meter, doch dann lässt mich irgendetwas anhalten. Mose hatte immer ein offenes Fenster in mein Leben, tiefe Einblicke von frühester Kindheit an bis zu meinem Auszug mit sechzehn. Ist es möglich, dass er scharf auf mich war? So sehr, dass er sich in mein Zimmer geschlichen und versucht hat, mich zu belästigen? War er vielleicht sogar schon vor jener schicksalhaften Nacht in meinem Zimmer? Oder hat er mir irgendwo auf dem Gelände von Malmaison aufgelauert, beispielsweise unter dem Blechdach der alten Scheune? Könnte es ein so traumatisches Erlebnis gewesen sein, dass ich es verdrängt habe? Vor meiner Unterhaltung mit Nathan Malik hätte ich jeden Gedanken in dieser Richtung von mir gewiesen, doch jetzt, angesichts der Albträume, die mich seit Jahren verfolgen – gesichtslose schwarze Gestalten, die in unser Haus einbrechen –, komme ich ins Grübeln. Die Vorstellung, dass ein zufälliger Einbrecher den ganzen Weg vom Highway durch den Regen bis nach Malmaison zurückgelegt haben soll, hat mich schon immer irgendwie gestört. Doch wenn dieser »Einbrecher« Mose war, hätte er nicht mehr als ein paar HundertMeter zurücklegen müssen. Könnte er der gesichtslose Schwarze aus meinen Albträumen sein? Der Dämon, der im Dunkeln mit meinem Vater kämpft?
Ich muss Pearlie danach fragen.
Mose hat mich noch nicht bemerkt. Auf der Rückseite von Malmaison unterhalten sich Ann und meine Mutter noch immer neben dem Wagen. Vielleicht schaffe ich es, Michael Wells’ Haus zu erreichen, ohne dass Mose mich sieht, aber Michael ist wahrscheinlich jetzt auf der Arbeit. Ich darf seinen Pool trotzdem benutzen. Ich denke an den flachen Stein in seinem Blumenbeet. Fünf oder sechs Minuten am Grund des Pools sind wahrscheinlich genau das Richtige, um mich zu beruhigen. Ich überlege gerade, ob ich den Rest des Weges im Sprint zurücklegen soll, als ich durch die Bäume hindurch das Geräusch eines Motors höre. Anns Acura setzt zurück. Ich höre, wie sie die Gänge wechselt, und dann rollt der Wagen langsam die geschwungene Auffahrt zum Tor hinunter.
»Miss Catherine?«, krächzt eine Stimme, die rau ist von tausenden handgedrehter Zigaretten.
Ich fahre erschrocken herum. Mose steht aufgerichtet da und starrt mich hinter seinem Haufen von Maulwurfsfallen an.
»Sind Sie das, Miss Catherine? Meine Augen sind nicht mehr so gut, wissen Sie?«
»Ich bin es, Mose«, rufe ich und wende mich ab, um nach Malmaison zurückzugehen. »Arbeite nicht zu schwer in dieser Hitze.«
»Hitze macht dem guten alten Mose nichts.« Er lacht. »Ich hab Hitze viel lieber als Kälte.«
Ich winke ihm aufmunternd zu, dann renne ich zurück in Richtung Haus.
23
D as Veterans Building liegt näher an Malmaison als die öffentliche Bücherei, also wende ich mich zuerst dorthin. Das kleine, einstöckige Gebäude befindet sich im größten öffentlichen Park der Stadt und war früher der Pro Shop des öffentlichen Golfplatzes. Die Vietnamveteranen haben es übernommen, als der Golfplatz auf achtzehn Löcher ausgebaut und in einem anderen Teil des Parks ein neuer Pro Shop errichtet wurde. Es wurde für die Treffen benutzt, für Partys und als Ort, an dem die Veteranen außerhalb der eigenen vier Wände herumhängen konnten.
Das heruntergekommene Gebäude liegt auf einem langen Hang unterhalb des öffentlichen Spielplatzes, den die Kinder von Natchez seit sechzig Jahren nutzen. Oberhalb des Spielplatzes liegt Auburn, ein Herrenhaus aus der Vorbürgerkriegszeit, das einem der einheimischen Garden Clubs als Vereinshaus dient. Auf der anderen Seite von Auburn steht eine alte Dampflok, eine Art lebendes Museum für Kinder. In der Ferne sehe ich das öffentliche Schwimmbad, das einzige anständige Becken, wo die Kinder von Schwarzen in der Stadt schwimmen gehen konnten. Es ist seit vier Jahren geschlossen, weil das Geld für Reparaturen fehlt. Ein Stück weit den Hang vom Veterans Building hinunter braten rote und grüne Tennisplätze in der Hitze, umgeben von eingezäunten Rasenflächen.
Ich habe eigentlich erwartet, die Skulptur meines Vaters im Innern des Veterans Building zu finden, wo ich sie zum letzten Mal gesehen habe – doch als ich den Audi auf den Parkplatz lenke, sehe ich die glänzenden Rotorblätter, die die Skulptur krönen, übers Dach aufragen. Haben die Veteranen es vielleicht auf einen Sockel gestellt? Ich steige aus und umrunde das Gebäude.
Auf dem
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