Bist du mein Kind? (German Edition)
übernächtigt. Einen Moment muss ich überlegen, um seine Frage zu beantworten. Einerseits hasse ich es, wenn ständig fremde Menschen so nah um mich herum sind, denn ich bin kein guter Teamplayer. Andererseits sind diese Menschen die Einzigen, die uns helfen können, Maxi zu finden.
„Wir haben doch keine Wahl“, antworte ich leise. „Irgendwie müssen wir das schaffen. Für Maxi, für uns, damit alles wieder gut wird.“
Wird alles wieder gut? Ich klammere mich verzweifelt daran, dass innerhalb der nächsten Stunden etwas passiert und wir Maxi zurück haben.
Wolfgangs Handy geht los. Ich bin wie gelähmt. Plötzlich sind alle anderen hellwach. Victor ist als erster an der Telefonanlage, die sie aufgebaut haben. Er drückt auf der Tastatur herum und gibt Wolfgang dann ein Zeichen, ans Telefon zu gehen.
Wolfgang nimmt langsam sein Handy. Warum ist der bloß immer so lahm? Ich halte die Spannung fast nicht aus. Endlich drückt er eine Taste. Und meldet sich.
„Reiter“, seine Stimme klingt unsicher.
Wir alle hören den Lautsprecher.
„Hallo Wolfgang, hier ist Herrmann. Na wie ist es denn so in Frankreich? Geht es Euch allen gut?“
Ich höre das joviale Lachen von unserem besten Freund und spüre eine schreckliche Wut. Wie kann dieser blöde Idiot sich am Telefon so benehmen, als wäre alles ganz normal? Er hat noch nie Feingefühl besessen. Ich schreie Wolfgang voller Verzweiflung an:
„Leg auf, halte die Leitung frei! Leg endlich auf!“
Wolfgang stöhnt ins Telefon: „Herrmann, ich kann jetzt nicht. Ich melde mich später.“
Ich höre nur, wie Herrmann ruft:
„Oha, Ehekrach?“. Das war zu viel. Ich reiße Wolfgang das Handy aus der Hand und drücke die rote Taste, die die Leitung schließt.
Keiner sagt etwas.
Die Schlafzimmertür öffnet sich leise und Leon steht in der Tür. Verschlafen.
„Mama, Timo ist wach. Der stinkt ganz doll.“
Trotz der angespannten Situation müssen alle lachen, die hier Deutsch verstehen.
Ich löse mich aus der Situation, in dem ich mich auf meine Kinder konzentriere und gehe ins Schlafzimmer. Unterwegs umarme ich Leon und küsse ihn.
„Geh‘ frühstücken“ flüstere ich ihm zu, „da stehen leckere Sachen auf dem Tisch“.
Er setzt sich in Bewegung.
Im Schlafzimmer höre ich Timo krähen. Und wahrhaftig, ich rieche ihn auch sehr intensiv. Halleluja, was hat er denn in der Windel?
Ich nehme ihn hoch, küsse sein warmes Gesicht und nuschele in sein kleines Ohr:
“Puuh, du stinkst.“
Timo lacht und kräht. Er ist fröhlich. Gott sei dank hat sich unsere Anspannung nicht auf unser Baby übertragen. Ihm können wir am wenigsten erklären, was hier passiert ist.
Ich hole ein großes Handtuch und lege es auf das Bett, denn ich möchte den Inhalt seiner Windel auf keinen Fall auf dieser schönen Bettwäsche von Marie verteilen. Als ich ihn auf das Handtuch lege, erwischt er meine Haare und zieht kräftig. Genau in diesem Moment überfallen mich wieder die Tränen. Genau wie Timo, hat Maxi es als Baby geliebt, ganz fest an meinen Haaren zu ziehen. Und dann habe ich immer „aua, aua“ gerufen und er hatte Spaß.
Jetzt erlebe ich die gleiche Situation mit Timo und kann nicht aufhören zu weinen. Timo sieht mich an. Durch den Tränenschleier kann ich kaum etwas erkennen. Aber ich komme zur Besinnung und versuche, mich zu beherrschen. Mit meinem Ärmel wische ich die Tränen und die Schminke aus meinem Gesicht und wende mich wieder Timo zu. Und nun mache ich Spaß mit ihm. Er braucht mich ausgeglichen und nicht völlig verzweifelt. Also versuche ich, ihm Aufmerksamkeit zu geben, so gut ich kann.
Nachdem ich ihn gewickelt und angezogen habe, lege ich ihn in die Mitte des großen Bettes und drücke ihm ein Spielzeug in die Hand. Vom Badezimmer aus kann ich ihn sehen. Falls er loskrabbelt, was seine momentane Fortbewegung ist, kann ich schnell dazu springen und verhindern, dass er vom Bett fällt. Ich sehe im Spiegel ein Häufchen Elend. Das sorgfältige Makeup ist total verschmiert. Die Haare stehen mir zu Berge. Die blonden Strähnen sehen auf einmal grau aus. Ich versuche zu retten, was zu retten ist und wasche mein Gesicht. Dann schminke ich mich neu. Da ich diesmal keinen Gedanken an Jean-Marie verschwende, fällt meine Sanierung unter das Motto schnell, aber effizient. Als ich nach zwei Minuten das Resultat betrachte, bin ich halbwegs zufrieden.
Ich nehme Timo vom Bett und gehe zurück ins Wohnzimmer. Marie hat eine Banane zerquetscht, mit zarten
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