Bist du mein Kind? (German Edition)
dass alle Geräte, die vorher auf unserem Esstisch standen, verschwunden sind. Der Anblick des leeren Tisches haut mich um. Es ist so etwas Endgültiges. Als wüssten diese Menschen, dass ich Maxi nie mehr wiedersehe. Ich bin total verzweifelt. Wolfgang wischt sich verstohlen ein paar Tränen aus den Augen.
Leon ist schon mit Frederic in der Küche verschwunden. Timo krabbelt Richtung Spielzeugdecke und quietscht vor sich hin.
Wolfgang und ich sacken auf der Couch ineinander. Nun sitzen wir hier schon den zweiten Abend und unser Sohn bleibt immer noch spurlos verschwunden. Es hat keinen Anruf gegeben und die Spur mit dem Eiswagen ist ins Leere gelaufen. Wo sollen wir bloß ansetzen und ihn suchen? Wir können doch nicht Hand in Hand mit unseren anderen beiden Kindern in Frankreich von Tür zu Tür laufen und nach unserem Sohn fragen. Wie kriegen wir ihn zurück?
Es ist, als würden Wolfgang die gleichen Gedanken durch den Kopf gehen. Er lehnt sich an mich und ich spüre, dass sein Körper vibriert, als würde er unter einer leichten Stromspannung stehen. Als ich seine Hand drücke, erschrecke ich. Sie ist eiskalt. Das habe ich bei Wolfgang noch nie erlebt. In all den Jahren, in denen ich ihn kenne, hat er sich immer über zu viel Wärme beschwert. Dieser Mann ist ein wandelnder Ofen. Und nun sitzt er hier und hat eiskalte Hände. Er tut mir leid. Und tatsächlich.
Da ist sie, die Erkenntnis, dass alle Leute Recht haben:
Ich bin in unserer Ehe die Starke. Und ich muss mich um alle kümmern. Auch jetzt, wo mein Kummer mir das Herz zerreißt. Ich muss Wolfgang stützen und mich um die Kinder kümmern. Und ich muss versuchen, irgendwie Maxi zu finden. Und dann müssen wir so schnell wie möglich nach Hause fahren und diesen ganzen Alptraum hinter uns lassen.
So ist es immer gewesen und auch dieses Mal wird sich nichts daran ändern. Ich stehe auf, um ins Bad zu gehen.
Dort sehe ich im Spiegel eine vollkommen übermüdete Frau, leichenblass, mit tiefen Rändern unter den Augen. Die Wimperntusche ist leicht verschmiert und die Lippen sind farblos. Die Haare stehen wild in alle Richtungen und ich fühle mich nach diesem Anblick hundeelend. Also, Monika, du bist die Starke. Wasserhahn auf, kaltes Wasser ins Gesicht, die verschmierte Tusche wegwischen, eincremen und dann ab in die Küche. Alle müssen etwas essen.
Gesagt, getan. Ich verlasse das Badezimmer, Richtung Küche. Aber meine Füße führen mich nach links zum Kinderzimmer. Bisher bin ich nicht mehr darin gewesen. Meine Hand schiebt die Tür auf. Ich trete ein. Maxis Bett. Zerwühlt. Dort liegt der Ball, den Leon ihm hingelegt hat. Langsam gehe ich zum Bett. Meine Hand greift nach seinem Schlafanzug. Ich nehme ihn und rieche daran, weil ich Maxis Geruch haben will. Mein Gesicht drücke ich ganz tief in den weichen Frotteestoff. Und ich sauge den Geruch meines kleinen Sohnes ein. So tief ich kann. Ich will gar nicht mehr aufhören zu riechen. Ich halte die Luft an, um den Duft dieses kleinen weichen und zarten Körpers, der immer so drahtig war, nicht mehr herzugeben. Ich will nicht ausatmen.
Dass ich umfalle und das Bewusstsein verliere, nehme ich nicht mehr war.
2001 Mai Tag 6 in Frankreich
Kaffeegeruch zieht in meine Nase. Nein, nein, nicht, ich will mein Kind riechen. Wo ist der Schlafanzug. Gebt ihn mir zurück. Warum stinkt es hier so entsetzlich nach Kaffee? Wo ist der süßsaure Duft meines Sohnes hin? Eben hatte ich ihn doch noch in der Nase!
Langsam tauche ich auf in mein Bewusstsein. Wieso liege ich in unserem Bett? Wo ist Timo? Er ist nicht in seinem Bett. Ich habe ein wenig Kreuzschmerzen. Das passiert immer, wenn ich zu lange schlafe. Dann schmerzt morgens das Kreuz. Habe ich etwa lange geschlafen? Das kann doch nicht sein! Nicht schon wieder. Draußen ist es taghell.
Ich quäle mich aus dem Bett. Wo ist meine Familie? In der Küche und im Wohnzimmer finde ich keine Menschenseele. Auf der Uhr ist es viertel nach elf. Das kann doch nicht sein! Sollte ich seit gestern Abend um sechs geschlafen haben? Unmöglich. Ich schlafe normalerweise fünf bis sechs Stunden in einer Nacht. Und in unserer entsetzlichen Lage kann ich, glaube ich, überhaupt nicht mehr schlafen.
Ich schlurfe Richtung Haustür. Sie steht weit offen. Mein Herz fängt wieder an zu schlagen.
Aus dem Augenwinkel nehme ich draußen eine Bewegung wahr. Wolfgang sitzt auf der Bank. Timo sitzt mit Leon auf dem Stückchen Wiese und die Katzen wuseln um sie herum. Sie lachen und
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