Bist du mein Kind? (German Edition)
Wolfgang sieht mich ratlos an, denn er ist doppelt geschlagen. Weder hat er die Sprache verstanden, noch den Sinn der Worte. Warum ist Jean so wütend, scheint er mich zu fragen. Ich zucke nur die Schultern, denn ich habe nur ein Wort, das sich glühend in mein Herz bohrt. ‚Pädophil‘.
Genau das wollte ich ausblenden. Das ist genau das, was ich verdrängen und nicht wahr haben wollte. Pädophil. Nein, nicht mein kleiner Junge. Mein kleiner, nachdenklicher, die Welt beobachtender Junge. Nicht er. Jeder andere, doch bitte nicht Maxi. Natürlich auch nicht Leon oder Timo.
Aber das andere Kind, das mit ihm gesehen wurde? Und die vielen anderen? Vor Jahren hatte man in Belgien einen gigantischen Ring von Kinderschändern gesprengt. Die Schuldigen wurden allerdings nicht zur Rechenschaft gezogen, weil der Drahtzieher, ich glaube er hieß Girardeaut oder so ähnlich Einfluss auf die höchsten Kreise hatte. In diesen Skandal waren wohl auch höchste politische Mitarbeiter verwickelt. Das ging ganz hoch bis in die Regierung. Und hier soll mein Kind landen?
Ich muss endlich hören, was mir Jean-Marie, Frederic und Jean zu sagen haben. Meine Gedanken bringen mich um. Wolfgang nimmt Leon von meinem Schoß und trägt ihn ins Haus.
Leon klammert sich an Wolfgang. Sein Vater umschlingt ihn mit den Armen. „Ich bin so unendlich traurig, dass wir Maxi nicht finden. Deshalb habe ich gerade geweint. Du weinst doch auch manchmal, wenn du traurig bist. Bei Erwachsenen kommt das nicht mehr so oft vor, aber wenn der Kummer gar zu groß wird, müssen auch Papas mal weinen. Ich habe dich ganz doll lieb, mein Sohn und das wird auch immer so bleiben. Alles wird wieder gut“.
Leon kuschelt sich an ihn und lächelt.
Wird alles wieder gut? Hoffentlich. Aber es wird niemals wieder so, wie es mal war. Dessen bin ich mir sicher.
Leon löst sich von Wolfgang und begibt sich zu Timo. Endlich können wir reden. Frederic macht sich in der Küche zu schaffen.
Wir sehen erwartungsvoll und bang zu Jean und seinem Sohn. Jean-Marie ergreift das Wort.
„Vor einigen Jahren ist in Belgien ein großer Skandal aufgedeckt worden. Etwas Schreck….,“
Ich falle ihm ins Wort. „Die Geschichte kennen wir. Sie ist auch bei uns durch alle Medien gegangen. Erspare uns die Einzelheiten!“
„Okay, sicher wisst Ihr dann auch, dass die Verantwortlichen bis heute zwar in Untersuchungshaft sitzen, aber nicht verurteilt wurden, weil man immer noch ermittelt. Tatsache ist, dass man sicherlich auch nicht zu Ende ermitteln wird, weil die Regierung darin verwickelt war. Wir haben Unmengen Beweise vorgelegt, aber auf unerklärlich Weise sind unsere Unterlagen, die wir natürlich durch die französische Polizei übergeben haben, verschwunden. Unser Justizministerium hat danach nochmal insistiert, aber nichts ist passiert. Für uns ist das Ganze noch lange nicht erledigt. Der Kopf dieses ekelhaften Zirkels ist ein gewisser Jerôme Girardeaut. So wie es aussieht, hatte er keine Probleme, seine Organisation aus dem Gefängnis weiter zu führen. Es gibt Beobachtungen, dass im Moment wieder „Nachschub“ gebraucht wird. Entschuldigt bitte dieses grässliche Wort. Ich weiß, dass es um Euren Sohn geht. Phillipe ist auf dem Weg zur belgischen Grenze. Er hat in Valenciennes einen Verbindungsmann, der seit Jahren mit ihm zusammen arbeitet. Unsere Leute sind auch informiert. Die Polizei ist ebenfalls eingeschaltet. Wir haben den Schlupfwinkel einiger Handlanger dieser belgischen Organisation ausfindig gemacht. Die
Polizei in Charleroi auf der belgischen Seite beobachtet diese beiden Männer seit 36 Stunden rund um die Uhr. Sie wollen zusammen mit Philippe zuschlagen und die beiden Handlanger verhaften, in der Hoffnung, einige Informationen aus ihnen heraus zu pressen. Hier haben Phillipe und wir nun unsere Bedenken. Wenn wir die zwei Männer verhaften, werden wir mit Sicherheit in eine Sackgasse laufen. Diese Organisation ist so konstruiert, dass jede Ebene nur sich selber kennt. Niemand weiß, wer auf der nächsten Ebene sitzt und nach unten, also umgekehrt ist es genauso. Die Informationswege sind sehr ausgeklügelt. Es geht über Internetforen und mit ständig wechselnden Prepaid-Handys. Wir kommen mit Sicherheit über diese beiden Typen nicht an die Höheren heran.“
Er macht eine Pause.
Ich sehe Wolfgang an. Kapiert er, was Jean-Marie uns sagen will? Oder hat er einfach nur die Hoffnung, ganz schnell Maxi zurück zu bekommen?
Mir dringt die Erkenntnis ins
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