Bist du mein Kind? (German Edition)
Rauschen in den Ohren. Bald. Nicht mehr lange. Geschafft!
Nun höre ich wieder, was Romain Gillier sagt.
„… werden aber nur observieren, bis die nächste Truppe kommt und die Kinder an die Verteiler bringt.“
„Nein, nein“, falle ich ihm ins Wort. „Das können Sie nicht tun. Ich bin meinem Kind so nahe. Ich kann doch jetzt nicht zulassen, dass Sie nichts unternehmen. Sie müssen die Kinder da rausholen. Mein Sohn ist hier und sie wollen ihn opfern?“ Ich spüre Verzweiflung in mir hoch steigen.
Phillipe sieht mich an. „Wir haben dir doch alles erklärt“, spricht er leise auf mich ein.
„Du warst einverstanden, dass du dich an unsere Vorgaben hältst. Jetzt vertraue uns bitte. Wir regeln das hier. Deinem Kind wird nichts passieren. Allen Kindern nicht. Das verspreche ich dir. Wir verstehen unseren Job“.
So eindringlich er auch mit mir redet, ich kämpfe gegen das an, was ich höre. Ich will nicht, dass die ihren Fall aufklären. Das ist mir egal. Ich will mein Kind. Und jetzt bin ich so nah bei ihm, nach all den Tagen der Verzweiflung und nun soll ich ihn in den Händen der Verbrecher lassen? Das können die doch nicht tun. Wie soll man das ertragen? Sein Kind in Händen von Kinderschändern zu wissen und es dort zu lassen? Ich muss rausfinden, wo diese alte Industrieanlage ist. Mit einem Taxi müsste das gehen. Ich habe ungefähr sechshundert Mark mit. Und Kreditkarten. Wie komme ich hier heraus?
„Entschuldige, ich brauche einen Moment, um mich zu sammeln. Wo kann ich alleine sein?“
Phillipe sieht mich verständnisvoll an. Chloé steht auf und nimmt mich am Arm. „Ich zeige Ihnen unseren Ruheraum, dort können Sie sich etwas erholen. Danach reden wir weiter.“
Sie lächelt mich an und ich lächle zurück.
Vor einer Milchglastür bleiben wir stehen. Sie befindet sich in der Nähe der Durchgangstür, die diesen Gang von der Eingangshalle trennt.
„Vielen Dank“ sage ich zu Chloé und trete durch die Tür. Drinnen setze ich mich auf das Sofa.
Nach ein paar Minuten strecke ich mich und stehe auf. Leise öffne ich die Tür einen Spalt. Niemand zu sehen. Ich schlüpfe hindurch und husche durch die Ausgangstür in die große Halle. Erleichterung macht sich breit. Bis zur großen Flügeltür, die nach draußen führt, sind es vielleicht acht Meter. Links befindet sich ein Empfangsraum aus Glas. Dort halten sich ein paar Polizisten auf. Aber die kennen mich nicht. Ich straffe mich und gehe schnellen Schrittes an ihnen vorbei. Noch zwei Schritte. Meine Hand streckt sich aus, um den rechten Flügel aufzustoßen. Genau in dem Moment schwingt der linke Flügel auf.
Jean-Marie. Er bleibt wie angewurzelt stehen.
Ich auch.
Einen Moment mustern wir uns schweigend. Dann setze ich einen Fuß Richtung Tür.
Zu spät.
Jean-Marie weiß, dass ich verschwinden will. Er greift meinen Arm und zieht mich ganz nah zu sich heran. Unsere Nasen berühren sich fast.
„Wo willst du hin?“ zischt er durch die Zähne.
„Eine rauchen“, zische ich zurück.
Er lässt mich los und lacht. Richtig laut und aus tiefstem Herzen.
„Du bist wirklich gut, alle Achtung“, japst er. „Sicher, dass du eine rauchen willst? Es dauert keine zwanzig Sekunden und ich habe dir eine Zigarette besorgt“. Immer noch lächelt er. Da wir uns so nahe gegenüberstehen, habe ich ausreichend Gelegenheit, seine blitzweißen und sehr gepflegten Zähen zu betrachten. Fand ich immer schon toll. Menschen mit gepflegten Zähnen. Ich könnte niemals einen Mann küssen, der gelbe verkrustete Zähne hat. Küssen? Wer redet hier von Küssen? Ich muss hier weg. Jean-Marie steht wie eine alte Eiche in der Tür. Keine Chance, an ihm vorbei zu kommen.
Er nimmt meine Hand.
„Komm, was immer du vor hattest, es funktioniert nicht auf deine Art. Vertrau mir. Wir gehen zurück. Ich habe Neuigkeiten“. Er zieht mich von der Tür Richtung Sitzungszimmer.
Ich komme mir vor, als würde ich zur Schlachtbank geführt.
Als Jean-Marie die Tür öffnet, halten wir noch immer Händchen. Er lächelt ins Zimmer und zieht mich hinein. Während ich mit einer großen Standpauke und Arrest rechne, verliert er kein Wort über den Vorfall. Er lässt meine Hand los und setzt sich. Phillipe sieht mich mitfühlend an.
„Geht es dir besser?“
„Ich habe zu mir gefunden und werde versuchen, euch zu verstehen. Es fällt mir sehr schwer, weil ich immer nur an mein Kind denken kann, aber ich werde es versuchen.“
Phillipe lächelt mich an. Er dreht sich
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