Bist du mein Kind? (German Edition)
Schweine. Bitte, ihr müsst die Kinder befreien. Ihr könnt doch nicht zulassen, dass die so etwas mit den Kindern machen. Und noch bis übermorgen sollen sie in dem Haus bleiben. Habt ihr mal überlegt, was das für so kleine Kinder bedeutet? Weg von zuhause, entführt? Ein deutsches und ein holländisches Kind sind auch dabei. Die verstehen noch nicht mal die Sprache.“
Ein deutsches Kind? Mein Kind! Ich möchte wieder bewusstlos sein. Denn dann muss ich mich nicht den Tatsachen stellen. Mein Verstand setzt aus, glaube ich.
Plötzlich und ohne Vorwarnung habe ich ein Gefühl, als würde sich eine Glocke über mich stülpen. Alles rückt ein Stück von mir ab. Die Glocke lässt Geräusche und Konturen weicher werden. Es kommt nicht mehr so richtig zu mir durch. Ist das ein Selbstschutzmechanismus meines Körpers?
Aber ich will nicht in einer Glocke sitzen. Ich möchte doch nur bei meinem Kind sein. Ich will einfach nur mein kleines gut riechendes und immer liebenswertes Baby zurück. Dabei bin ich von so vielen Menschen abhängig, die mir sicher helfen wollen, aber andererseits auch nur an ihre eigene Reputation denken. Wieso kann es so wichtig sein, einen alten Fall auf Kosten dieser armen Kinder, die nun drüben in der Villa festgehalten werden, endgültig abzuschließen? Alle hier wissen doch genau, dass die Kontakte von Girardeaut bis in höchste Regierungskreise reichen und er wahrscheinlich nie verurteilt werden wird. Weshalb also muss ich mich hier so genau an die Anweisungen halten? Weshalb kann ich nicht einfach hinüber laufen und mein Kind und die Anderen da herausholen?
Der Zustand, der sich anfühlt, als säße sich unter einer Glocke, lässt mich plötzlich ganz ruhig werden. Ich merke, dass alle Erschöpfung von mir abfällt und meine Gedanken scheinen ziemlich klar zu sein. Wenn ich jetzt einfach zur Villa laufe, an die Tür hämmere und richtig Krawall mache, müssen die Bewacher der Kinder doch flüchten, damit die Polizei sie nicht erwischt. Und dann wären die Kinder frei.
Genau.
Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer kommt mir dieses Vorgehen vor.
Also gut. Was mache ich?
Als erstes muss ich alle davon überzeugen, dass es mir gut geht. Dass ich mich gefasst habe und weiter im Spiel bin. Und dann muss ich irgendwie hier raus und Richtung Villa kommen.
Ich stehe auf und gehe zu Romain und Jean-Marie hinüber. Jean-Marie steht auf und legt mir seinen Arm um die Schulter, als wollte er mich stützen.
‚Diesmal nicht. Diesmal flirtest du nicht mit mir. Ich muss dich leider heute ausnutzen, damit ich mein Kind zurück kriege‘.
Ich lächle ihn an und lehne mich gegen ihn.
„Geht es wieder?“ fragt er und schmiegt sich an mich. Ich reagiere diesmal nicht.
„Es geht schon“, antworte ich leise und bleibe in seinem Arm. „Es gibt halt Momente, da geht es nicht mehr, aber ich muss stark sein. Für mein Kind und für meine Familie. Und deshalb bin ich froh, dass ihr mir helft. Gibt es hier Kaffee?“
Er lässt mich los und schiebt mich in eine kleine Küche. Hier liegen belegte Brötchen auf einer Platte und die Kaffekanne gurgelt noch. Frischer Kaffee und ein Brötchen. Genau das werde ich jetzt zu mir nehmen. Dann gehe ich zur Toilette und danach……
Jean-Marie streichelt mir über die Wange und geht zurück.
Ich gieße mir Kaffee und Milch ein und esse mit Genuss ein Brötchen. Danach stürze ich noch ein Glas Wasser hinunter, weil ich vor Aufregung einen ganz trockenen Mund habe.
Als ich damit durch bin, schließe ich für einen Moment die Augen. Ok. Also los.
Ich setze mich in Bewegung. An der Wohnzimmertür frage ich allgemein in die Runde: „Wo ist denn hier die Toilette?“
Die ältere Frau sagt: „Zweite Tür rechts“, ohne den Kopf zu drehen. Gut.
Ich sehe meinen Rucksack an der Garderobe hängen. Kann ich es riskieren, den mit zu nehmen? Eher nicht. Besser ist es, wenn ich jetzt schnurstracks zur Toilette gehe und dann durch die Haustüre verschwinde. Rumoren an der Garderobe könnte wohlmöglich noch jemanden aufmerksam machen.
Ich schlüpfe durch die Tür ins Bad. Jetzt klopft mein Herz so laut, dass ich das Gefühl habe, es spränge mir zu Hals raus.
Fertig. Also los.
Leise öffne ich die Badezimmertür. Niemand in der Diele. Meine Jacke ignoriere ich ebenso wie den Rucksack. Leise, ganz leise drücke ich die Klinke der Haustür herunter. Sie gibt nach. Erleichtert ziehe ich die Tür auf. Und trete hinaus. Noch leiser ziehe ich die Tür wieder
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