Bitte nicht füttern: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
die vorgedruckte Lagerliste. Sie runzelte die Stirn.
»Das Zeug steht überhaupt nicht auf meiner Liste.«
Er sah sie einen Moment an. Dann, von ihren verstohlenen Blicken ermutigt, nahm er ihr die Flasche aus der Hand und las, was auf dem Etikett stand.
»Ehrlich gesagt, ist wohl die beste Lösung, das Zeug zu vernichten.« Er nahm ihr das Klemmbrett mit der Lagerliste ab und legte es auf den Tresen. »Was meinst du? Wollen wir sie aufmachen und eine Pause einlegen? Du hast wirklich ganze Arbeit geleistet. So schnell habe ich noch nie jemanden eine komplette Inventur machen sehen.«
»Mein Vater hat mir beigebracht, dass man bei jedem Job, den man annimmt, vollen Einsatz zeigen sollte.«
»Und ich dachte, du wärst hier, um deinem Vater und seinen Doktrinen zu entkommen?«
Sie verzog das Gesicht, als hätte er sie ertappt.
Er hatte gestern offenbar sehr genau zugehört.
»Vielleicht war ich gestern ein bisschen ungerecht. Mein Vater ist ein ganz besonderer Mann. Gütig und gerecht. Es ist nur ... Also, was seine Töchter betrifft ... Da geht halt manchmal sein Beschützerinstinkt mit ihm durch.«
»Und was würde er jetzt davon halten, dass dir ein halb fremder Mann einen Drink anbietet?«
»Er würde darauf bestehen, dass ich dankend ablehne und sofort nach Hause zu meinem Bruder gehe.«
Rory hatte bereits zwei Gläser in den Händen, die zarten Stiele zwischen seine kräftigen Finger geklemmt.
»Soll ich die dann wieder wegstellen?«
Linda sah ihn einen Moment nachdenklich an, dann lächelte sie und nahm die Weinflasche.
»Nö. Das ist ein 2006er Les Clos Grand Cru. Einer meiner Lieblingsweine. Aber das sollte mein Vater nicht erfahren.«
»Er lässt außer spanischem Wein wohl nicht viel anderes gelten, was?« Wie automatisch gingen sie auf denselben Tisch zu, an dem sie auch am Vortag schon gesessen hatten.
»Na ja, wenn ich Wein trinke, der nicht aus unserer Heimat stammt, ist das für ihn ein bisschen so, wie wenn ein Engländer sich ein Rugbyspiel England gegen Frankreich ansieht und die Franzosen gewinnen.«
Er schenkte ihr ein. Sie hielt das Glas hoch gegen das Licht und lächelte zufrieden. Dann atmete sie tief durch, bevor sie auf sein »Prost« antwortete und trank.
»Gut?«
»Sehr gut.«
»Wo genau in Spanien liegt eigentlich euer Weingut?« Er schenkte ihr nach, kaum dass sie das Glas abgestellt hatte.
»In Galicien.«
»Und wie viel produziert ihr so?«
»An die achtzigtausend Flaschen im Jahr.«
»So viel? Das muss ja ein ziemlich großes Gut sein. Welche Qualität?«
»Denominación de Origen Calificada.« Sie versuchte, diese Spitzenklassifikation so lässig wie möglich über die Lippen kommen zu lassen, doch ein gewisser Stolz war nicht zu überhören, als sie noch hinzufügte: »Und in unserer Region ist unser Weingut hoffentlich bald das einzige, das sich Denominación de Pago nennen darf.«
»Und das heißt ...?«
»Das ist eine Klassifizierung für einzelne Weingüter, die internationales Ansehen genießen. Es ist die höchste Klassifizierung, die es gibt, und mein Vater und die ganze Familie arbeiten wirklich hart, um sie zu bekommen. Ich hoffe sehr, dass sie es schaffen.«
»Sie? Nicht wir?«
»Es ist ein Familienunternehmen, aber wenn ich kann, möchte ich mal was anderes machen.«
»Wie zum Beispiel reisen?«
»Wie zum Beispiel reisen.«
»Und dann?«
»Weiß ich noch nicht. Ich will jetzt erst mal ein bisschen rumkommen. Danach sehe ich hoffentlich klarer, wo es für mich langgehen soll.«
»Vielleicht wird dein Herz dir ja den richtigen Weg zeigen ...«, sagte er betont lässig und ohne sie anzusehen. Stattdessen beobachtete er einen einsamen Seetaucher, der flussaufwärts flog und ab und zu die Wasseroberfläche berührte.
Lindas Herz fing plötzlich so heftig an zu schlagen, als wollte es prophylaktisch schon jetzt auf sich aufmerksam machen.
Zum Glück kam Rory ganz entspannt zu ihrem ursprünglichen Thema zurück.
»Mit Wein kennst du dich also richtig gut aus?«
Konzentrier dich. Atme. Trink einen Schluck. Linda war einen Moment lang außerstande, zu antworten. Ganz langsam beruhigte sich ihr Herzschlag wieder und sie konnte wieder vollständige Sätze äußern.
»Nicht so gut wie mein Vater und mein Bruder.«
»Aber du kennst dich schon aus?«
»Ja, würde ich sagen. Mein Vater hat mir immer so viel wie möglich beigebracht, wenn ich nicht gerade die Nase in Bücher gesteckt habe.«
»Dann habe ich dir vielleicht den falschen Job
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