Bitter Lemon - Thriller
Winter eine bessere Idee kommen. Vielleicht.
Am späten Morgen des 18. September flog mit hässlichem Geschepper die Bürotür auf, und Don Miguel stapfte in die Werkstatt. An seiner Unterlippe klebte eine längst erloschene filterlose Kippe, die bei jedem Wort ebenso zitterte wie der fette Bauch unter dem Feinrippunterhemd.
»Die MS Beluga. Um halb drei. Pünktlich.«
»Wo liegt die denn?«
»Direkt am Hafenturm. Nicht zu übersehen. Zwei Kunden. Señor Kecman und ein Geschäftsfreund. Señor Kecman mag keine Aluflaschen. Da ist er altmodisch. Auch kein Nitrox, sondern normale Pressluft. Also nimm eine Stahlflasche für ihn. Zwölf Liter. Sein Geschäftsfreund will unbedingt eine Aluflasche. Taucher sind eigen. Den Rest an Ausrüstung haben die selbst dabei. Alles vom Feinsten, du wirst schon sehen.«
»Wohin?«
»Das Wrack der MS Goggi.«
»Okay.«
»Nimm das neue Boot.«
»Okay.«
Das neue Boot war ein sechs Meter langes Zodiac-Schlauchboot mit einem ganz heißen 200-PS-Außenborder. Wenn Don Miguel ausdrücklich auf dem neuen Boot bestand, dann musste Señor Kecman ein sehr guter Kunde sein.
Don Miguel druckste herum.
»Ja? Was noch?«
»Im Wrack steht ein Zackenbarsch, sagt Señor Kecman. Ein richtiges Prachtexemplar, gut anderthalb Meter.«
»Schön.«
»Das Harpunieren ist inzwischen gesetzlich verboten. Nur bei den Freitauchern wird es noch geduldet. Brille und Schnorchel und Flossen und Blei, aber keine Atemluft.«
»Aha. Warum?«
»Diese Tierschützer. Damit der Fisch eine Chance hat. So ein ausgemachter Blödsinn. Eine Chance. Hat das Schwein im Stall vielleicht eine Chance? Oder das Huhn im Hof? Gute Freitaucher bleiben acht Minuten unten. Aber das reicht nie und nimmer, um einen Zackenbarsch in einem Wrack aufzustöbern.«
»Schon gut. Ich habe verstanden.«
»Señor Kecman ist ein sehr guter Kunde. Wenn du also ein Problem damit hast, dann fahre ich ihn lieber selbst und du bewachst solange das Telefon …«
»Überhaupt kein Problem, Don Miguel.«
»Gut. Sehr gut. Ich müsste nämlich mal dringend zu meiner Frau ins Krankenhaus. Sei nur ja pünktlich.«
Don Miguel verschwand im Büro.
Artur setzte sich vor der Werkstatt auf ein leeres Benzinfass, drehte sein Gesicht in die Sonne, genoss die verschwenderische Wärme und rauchte eine Zigarette.
Er hatte noch nie einen Menschen getötet. Und er war sich nicht sicher, ob ihm dies heute gelingen würde.
Artur nahm eine der Aluflaschen aus dem Regal und befüllte sie mit gewöhnlicher Pressluft, die so wie die natürliche Atemluft nur zu knapp 21 Prozent aus Sauerstoff bestand. Anschließend nahm er eine der neueren Stahlflaschen. Er befüllte sie zunächst zu 60 Prozent mit reinem Sauerstoff und ließ dann so lange gewöhnliche Pressluft nachströmen, bis der erforderliche Überdruck von exakt 205 bar erreicht war.
Anschließend schnitt er sich von der Seiltrommel ein vier Meter langes Stück Festmacherleine aus Polyester ab. Er hatte keine Ahnung, wie man ein Auge spleißte, also benutzte er zwei Seilklemmen aus Metall, um schließlich an dem einen Ende den Karabinerhaken und an dem anderen Ende den 60 Kilogramm schweren, hoffnungslos verrosteten Anker zu befestigen, den er an seinem zweiten Arbeitstag im hintersten Winkel der Werkstatt gefunden hatte – mitten in einem Schrottberg, den Don Miguel euphemistisch als Ersatzteillager bezeichnete.
Anschließend schaffte Artur alles aufs Boot, platzierte den Anker im Bug und deckte ihn mit einer dicken Ölplane ab. Der Rest war Routine: Benzintank nachfüllen, Ölstand kontrollieren, die Koordinaten aus der Seekarte in den GPS-Empfänger übertragen.
Die MS Goggi III war im Winter 1992 aus ungeklärten Gründen vor der Südwestküste Mallorcas gesunken. Seither lag sie in 36 Metern Tiefe auf Grund. 36 Meter unter dem Boot, das nun mit abgestelltem Motor auf der schwach wogenden, in der Sonne glitzernden Wasseroberfläche tanzte.
Die Neopren-Anzüge hatten die beiden Kunden schon getragen, als sie vom Pier neben der MS Beluga ins Boot gesprungen waren. Der Rest der Ausrüstung war in wetterfesten Sporttaschen verstaut.
Kecman hatte die ganze Fahrt über geschwiegen und nur einmal auf Spanisch gefragt: »Sie sind kein Spanier, oder?«
»Nein«, hatte Artur auf Spanisch geantwortet. »Deutscher.« Was nicht einmal gelogen war. Schließlich besaß er die deutsche Staatsangehörigkeit, auch wenn ihn alle Welt in Köln den Polen nannte. Daraufhin hatte Kecmans Buddy ihm die Hand
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