Bitter Love
zurück, die ich hineingelegt hatte – es war fast, als würde ich alles noch einmal erleben. Diesen Abend, an dem ich verschluckt worden war von dem Loch an der Stelle, wo meine Familie hätte sein sollen. Die Leere hatte mich so umgehauen, dass ich gar nicht anders gekonnt hatte, als darüber zu schreiben. Und jetzt dieser Moment – so schutzlos und so intim –, ich ertrug es kaum. Ich ließ die Stirn auf meine Knie sinken und lauschte mit geschlossenen Augen. Als Cole fertigwar, drehte ich den Kopf zu ihm und legte meine Wange auf die Knie, dorthin, wo eben noch meine Stirn gewesen war.
»Das war irre«, sagte ich. »Kaum zu glauben, dass du mein Gedicht auswendig gelernt hast.«
Er zupfte gedankenverloren an den Saiten herum. »Den genauen Wortlaut hab ich nicht mehr zusammengekriegt«, sagte er. »Aber ich hab versucht, mich möglichst genau zu erinnern. Gleich beim Lesen ist mir in den Sinn gekommen: Wow, das könnte ein echt guter Song werden!«
Ich streckte die Hand aus und schlug vorsichtig die Gitarrensaiten an. »Ich hab immer davon geträumt, ein Instrument spielen zu können.«
»Echt?« Er richtete sich auf. »Ich könnt’s dir beibringen. Ist nicht weiter schwer.« Er hielt seine Finger dicht neben meine und schlug selbst über die Saiten. Ihr Vibrieren unter meinen Fingerkuppen erfasste meinen ganzen Körper, bis hinunter in die Zehen.
Auf einmal klopfte es von innen gegen die Fensterscheibe hinter uns. Im Laden stand Georgia und werkelte mit hochgezogenen Augenbrauen an der Jalousie herum.
»Mist«, sagte ich. »Ich muss wieder rein.«
Cole stand auf und packte seine Gitarre am Hals. »Ja«, sagte er.
Wieder war da ein verlegener Moment zwischen uns. Für mich klang darin das Vibrieren der Gitarrensaiten weiter, das ich noch immer in den Fußsohlen spürte.
Gerade als ich aufstehen wollte, streckte er den Arm aus und berührte mein Handgelenk, ganz zart nur und so kurz, als hätte er Angst, sich an mir zu verbrennen.
»Vielleicht kann ich dir am Wochenende ein bisschen was zeigen?«
Ich verstand nicht gleich. Was war mit dem Wochenende? Und dann, mit einem einzigen lauten Herzschlag, begriff ich, was er damit sagen wollte.
»Am Freitag muss ich arbeiten, aber Samstag habe ich frei.«
Er lächelte. »Okay. Dann können wir an den See fahren oder so. Wir nehmen uns was zum Essen mit und ich bring dir
Yesterday
bei. Das war der erste Song, den ich gelernt habe. Total simpel.«
»Ja, das klingt super. Sollen wir uns dort treffen?«
»Nein«, sagte er. »Ich komm bei dir vorbei und hol dich ab.« Nickend saßen wir da und schauten einander in die Augen, bis Georgia wieder gegen die Fensterscheibe klopfte.
Diesmal drehten wir uns beide um. Georgia zog die Augenbrauen nun noch ein Stück höher. Cole lachte leise.
»Ich sollte jetzt wirklich los«, sagte ich. »Wir sehen uns morgen im Lernlabor, oder?«
»Ja«, antwortete er, beugte sich über den Kofferraum und verstaute die Gitarre. »Bis dahin hab ich den Stoff für Englisch drauf, das versprech ich dir.«
Ich reckte den Finger in seine Richtung. »Na, hoffentlich!«
»Bis dann, Emily Dickinson.«
Ich musste mich dazu zwingen, mich umzudrehen und die Tür zum Lokal zu öffnen.
Ich sah ihm zu, wie er den Kofferraum zumachte, ins Auto stieg und wegfuhr, dann hüpfte ich kichernd undfreudig quiekend zu Georgia hinüber, die jetzt am anderen Ende des Raums die Jalousien herunterließ.
»Eine lange Pause«, sagte sie, ohne mich anzusehen.
»Wir sind verabredet«, antwortete ich und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Er will am Samstag mit mir an den See.«
»Oh, là, là, an den See!«, machte Georgia in einem spaßig-überdrehten Tonfall. »Das klingt aber reichlich gewagt.«
»Ach, wieso denn?«, sagte ich und ging zur nächsten Jalousie. Meine war viel schneller unten als ihre. »Ich bin ein braves Mädchen. Ich würde nie im Leben irgendwas
Gewagtes
tun.« Dabei klimperte ich dramatisch mit den Augenlidern.
Georgia drehte sich um und schnippte mit dem Geschirrtuch in meine Richtung. »Ach, meine armen Nerven. So was verkrafte ich einfach nicht.«
Ich beugte mich vor und umarmte Georgia. Ich konnte meine Begeisterung unmöglich für mich behalten.
Wenn ich diesen Tag in einem Wort zusammenfassen müsste, welches wäre es?
Endlich.
Kapitel 7
Celia lief hinter mir her, als ich durchs Wohnzimmer düste und abgelegte Socken und feuchte Handtücher in den Wäschekorb warf. Ich klopfte die Kissen auf dem Sofa
Weitere Kostenlose Bücher