Bitter Süsse Tode
daran auf, wenn Sie den Pflock einschlagen. Sie können es keine Woche lang aushalten, ohne in jemandes Blut zu baden.«
Ich starrte ihn an. »Glauben Sie das wirklich?«, fragte ich.
Er wollte mich nicht ansehen, aber schließlich sagte er: »Ich weiß nicht.«
»Die armen kleinen Vampire, die armen missverstandenen Geschöpfe. Richtig? Der mir diese Narbe verpasst hat, hat dreiundzwanzig Leute abgeschlachtet, ehe mir das Gericht grünes Licht geben wollte.« Ich riss mein T-Shirt zur Seite, um meine Schlüsselbeinnarbe zu zeigen. »Dieser Vampir hatte zehn Leute umgebracht. Er war auf kleine Jungen spezialisiert, meinte, das Fleisch sei besonders zart. Er ist nicht tot, Jamison. Er konnte abhauen. Aber er hat mich letzte Nacht gefunden und mir gedroht.«
»Sie verstehen sie eben nicht.«
»Nein!« Ich stieß ihm einen Finger in die Brust. »Sie verstehen sie nicht.«
Er sah wütend auf mich herab, seine Nasenflügel bebten, sein Atem kam in warmen Stößen. Ich trat einen Schritt zurück. Ich hätte ihn nicht berühren sollen; das verstieß gegen die Regeln. Fassen Sie nie einen an, mit dem Sie streiten, außer Sie wollen Gewalt.
»Es tut mir Leid, Jamison.« Ich weiß nicht, ob er verstand, wofür ich mich entschuldigte. Er sagte nichts.
Als ich an ihm vorbeiging, fragte er: »Wofür sind die Akten?«
Ich zögerte, aber er kannte die Akten so gut wie ich. Er würde merken, welche fehlten. »Für die Vampirmorde.«
Wir drehten uns gleichzeitig wieder um und starrten einander an. »Sie haben das Geld genommen?«, fragte er.
Ich war verblüfft. »Sie haben davon gewusst?«
Er nickte. »Bert versuchte sie dazu zu bringen, mich an Ihrer Stelle zu engagieren. Das wollten sie nicht.«
»Und das nach der guten Reklame, die Sie für sie gemacht haben.«
»Ich habe Bert gesagt, dass Sie es nicht tun würden. Dass Sie nicht für Vampire arbeiten.«
Seine schrägen Augen studierten mein Gesicht, suchten es ab, versuchten ein bisschen Wahrheit herauszuquetschen. Ich ignorierte es mit nichts sagender Freundlichkeit. »Geld überzeugt, Jamison, sogar mich.«
»Sie legen auf Geld überhaupt keinen Wert.«
»Schrecklich kurzsichtig von mir, nicht wahr?«, erwiderte ich.
»Das fand ich immer. Sie haben es nicht für Geld getan.« Eine Aussage. »Was war es dann?«
Ich wollte nicht, dass Jamison etwas damit zu tun bekam. Er glaubte, Vampire seien nur Leute mit Fangzähnen. Und die Leute mit den Fangzähnen achteten sorgfältig darauf, ihn in den netten, sauberen Randgebieten zu lassen. Er bekam nie schmutzige Hände, darum konnte er es sich leisten, so zu tun als ob oder es zu ignorieren oder auch sich selbst zu belügen. Ich hatte mich ein Mal zu viel schmutzig gemacht. Sich selbst zu belügen war eine gute Art zu sterben.
»Hören Sie, Jamison, wir denken verschieden über Vampire, aber wer Vampire auf solche Art umbringen kann, könnte auch aus Menschen Fleischpastete machen. Ich will den Wahnsinnigen fangen, bevor er, sie oder es genau das tut.«
Das war keine schlechte Lüge, für eine Lüge meine ich. Es war sogar plausibel. Er blinzelte mich an. Ob er es glauben würde oder nicht, hing davon ab, wie sehr er darauf angewiesen war, es zu glauben. Wie sehr er darauf angewiesen war, dass seine Welt sicher und sauber blieb. Er nickte, einmal, sehr langsam. »Sie glauben, etwas fangen zu können, was die Meistervampire nicht fangen können?«
»Das scheinen sie zu glauben.« Ich öffnete die Tür, und er folgte mir nach draußen. Vielleicht hätte er noch mehr gefragt, vielleicht auch nicht, aber eine Stimme unterbrach uns.
»Anita, können wir gehen?«
Wir drehten uns beide um, und ich muss noch verblüffter geguckt haben als Jamison. Ich war mit niemandem verabredet.
Da saß ein Mann in einem der Foyersessel, halb versteckt zwischen den Dschungelpflanzen. Ich erkannte ihn nicht gleich. Dickes kurz geschnittenes braunes Haar, aus einem sehr netten Gesicht gekämmt. Schwarze Sonnenbrille. Er drehte den Kopf, und weg war der Eindruck von kurzen Haaren. Ein dicker Pferdeschwanz ringelte sich über den hochgestellten Kragen seiner Jeansjacke. Ein blutroter Pullunder unterstrich seine Bräune. Er stand langsam auf und setzte lächelnd die Brille ab.
Es war Philip von den vielen Narben. Bekleidet hatte ich ihn nicht erkannt. Am Hals hatte er ein Pflaster, das aber nahezu vom Kragen verdeckt wurde.
»Wir müssen miteinander reden«, sagte er.
Ich schloss den Mund und versuchte ziemlich intelligent auszusehen.
Weitere Kostenlose Bücher