Bitter Süsse Tode
eine kurze Narbe an der Oberlippe. Sie musste sie vor ihrem Tod bekommen haben.
»Ich bin sicher«, sagte ich.
Darauf lachte sie, ein Klang, der ein Lächeln auf jedes Gesicht und ein Lied in jedes Herz zaubert. Mir drehte sich der Magen um. Ich würde mir nie wieder einen Shirley-Temple-Film ansehen können.
»Ich glaube nicht, dass Sie sich dessen sicher sind.« Sie stand auf, in einer geschmeidigen Bewegung. Tausend Jahre Übung machen perfekt.
»Ich will, dass der Zombie zurückgebettet wird, jetzt, heute Nacht«, forderte ich.
»Sie befinden sich nicht in der Lage, etwas zu wollen.« Sie klang kalt, sehr erwachsen. Kinder wissen nicht, wie man einem mit der Stimme die Haut abzieht.
»Ich habe ihn erweckt. Ich will nicht, dass er gequält wird.«
»Wie schade.«
»Bitte.« Was sollte ich sonst sagen?
Sie schaute auf mich herunter. »Warum ist das so wichtig für Sie?«
Ich glaubte nicht, dass ich es ihr begreiflich machen könnte. »So ist es nun mal.«
»Wie wichtig?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Was sind Sie bereit für Ihren Zombie zu erdulden?«
Die Angst setzte sich als kalter Klumpen in meinem Magen fest. »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Doch, das wissen Sie«, sagte sie.
Da stand ich auf, nicht dass das viel nützen würde. Allerdings war ich größer als sie. Sie war klein, eine zarte Fee von einem Kind. Genau. »Was wollen Sie?«
»Tun Sie das nicht, Anita.« Willie stand abseits, als fürchtete er sich, zu nahe zu kommen. Tot hatte er mehr Schneid als lebendig.
»Still, Willie.« Sie sprach im Plauderton, nicht laut, nicht bedrohlich. Aber Willie verstummte sofort, wie ein gut erzogener Hund.
Vielleicht fing sie meinen Blick auf. Wie auch immer, sie sagte: »Ich habe Willie für sein Versagen bestraft, weil er Sie nicht gleich engagieren konnte.«
»Bestraft?«
»Philip hat Ihnen doch sicher von unseren Methoden erzählt?«
Ich nickte. »Ein mit Kreuzen umgebener Sarg.«
Sie lächelte, strahlend und fröhlich. Die Schatten machten ein anzügliches Grinsen daraus. »Willie hatte große Angst, dass ich ihn monatelang oder gar jahrelang dort drin lassen könnte.«
»Vampire können nicht verhungern. Ich verstehe das Prinzip«, sagte ich und fügte im Stillen hinzu: Du Miststück. Mich kann man nur so lange ängstigen, bis ich wütend werde. Zornig fühlt man sich gleich besser.
»Sie riechen nach frischem Blut. Lassen Sie mich kosten, und ich bringe Ihren Zombie in Sicherheit.«
»Heißt kosten beißen?«, fragte ich.
Sie lachte, süß, betörend. Miststück. »Ja, Mensch, es bedeutet beißen.« Plötzlich war sie neben mir. Ich sprang ohne zu denken zurück. Sie lachte wieder. »Es scheint, Philip ist mir zuvorgekommen.«
Einen Augenblick wusste ich nicht, was sie meinte; dann fasste meine Hand an die Bisswunde am Hals. Ich war plötzlich verlegen, als hätte sie mich nackt überrascht.
Ihr Lachen schwebte im Sommerwind. Langsam ging es mir wirklich auf die Nerven.
»Ich will das nicht«, sagte ich.
»Dann lassen Sie mich in Ihre Gedanken eindringen. Das ist auch eine Art Nahrung.«
Ich schüttelte den Kopf, äußerst schnell und lange. Ich wollte eher sterben, als dass ich sie noch einmal in meinen Kopf ließe. Wenn ich die Wahl hätte.
Ein Schrei erklang in nicht allzu großer Entfernung. Estelle gewann soeben ihre Stimme wieder. Ich wimmerte, als hätte man mir ins Gesicht geschlagen.
»Lassen Sie mich Ihr Blut kosten, Animator. Ohne Zähne.« Dabei entblößte sie kurz ihre Fänge. »Sie stehen still und wehren mich nicht ab. Ich werde an der frischen Wunde am Hals lecken. Ich werde nicht an Ihnen saugen.«
»Sie blutet nicht mehr. Sie ist verschorft.«
Sie lächelte, ach so süß. »Ich werde sie freilecken.«
Ich schluckte schwer. Ich wusste nicht, ob ich das tun könnte. Der nächste Schrei klang schrill und verzweifelt.
Gott.
»Anita...«, begann Willie.
»Still, oder du riskierst, dass ich wütend werde.« Ihre Stimme war leise und bedrohlich.
Willie schien in sich zusammenzuschrumpfen. Sein Gesicht war ein weißes Dreieck unter schwarzem Haar.
»Schon gut, Willie. Bringen Sie sich nicht meinetwegen in Schwierigkeiten«, sagte ich.
Er stand nur ein paar Schritte entfernt; es hätten auch Meilen sein können. Um mir beizustehen, hatte er nur sein verlorenes Gesicht. Armer Willie. Arme Anita.
»Wozu soll das nützen, wenn Sie sich nicht von mir nähren?«, fragte ich.
»Zu gar nichts.« Sie streckte ihre kleine, bleiche
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