Bittere Delikatessen
kennen.«
»Nein. Ich kenne keine kleinen Muskelmänner mit Goldkettchen.«
»Wo waren Sie gestern Abend zwischen acht und elf Uhr?«
»Sie verdächtigen doch nicht etwa mich? « Sie stellte ihr Glas ab und tat überrascht – oder war es wirklich. Unschuld oder verdammt gute Schauspielerei. Ben sah dünne, weiße Linien, die quer über die Innenseiten ihrer Unterarme liefen. Für einen Moment war er irritiert.
»An einem Tag streiten Sie mit ihm, am nächsten ist er tot. Und Sie sind auch noch erleichtert darüber. Was soll ich davon wohl halten, Frau Fabian?«
»Also gut. Mein Alibi.« Sie zündete sich eine neue Zigarette an. Ihr Zittern war stärker als zuvor. »Zwischen acht und elf.« Sie blies eine Menge Qualm mit voller Kraft aus ihrer Lunge. »Da war ich bei Max. Er wird es Ihnen bestätigen.«
»Max und wie noch?«
»Max Traube. Ein sehr guter Freund und Kollege. Wir haben die ganze Zeit zusammen verbracht. Text einstudiert für das Watzmannhaus. Ich bin erst gegen Mitternacht zurückgekommen.«
»Mit dem Taxi?«
»Nein, äh, Max hat mich nach Hause gefahren.« Flehende Augen, keine Fassade.
Ben notierte die Adresse des Freundes.
»Ich weiß, es muss befremdend auf Sie wirken, Herr Kommissar, aber ich möchte nicht die trauernde Tochter spielen. Das wäre Heuchelei. Sie wissen jetzt, dass ich trotzdem keine Mörderin bin. Fragen Sie Max.«
»Sicher. Ich bitte Sie, noch einmal sorgfältig nachzudenken, ob Ihnen nicht doch noch etwas einfällt, was zur Aufklärung beitragen kann. Vielleicht hat Heinz Fabian eine Andeutung gemacht, als er Sie am Samstag besuchte. Feinde, Konkurrenten, irgendetwas, was ihn beunruhigte. Oder es gibt eine Sache von früher. Vielleicht fällt Ihnen ein, ob er Feinde hatte oder Streit in der Zeit, als Sie noch Kontakt zu ihm hatten.« Er gab ihr sein Kärtchen. »Ich möchte Sie bitten, morgen ins Präsidium zu kommen. Wir nehmen dann Ihre Aussage zu Protokoll. Sie wissen ja, wie das bei Beamten so ist. Wir brauchen alles schriftlich.«
Sie standen auf. Nora gab ihm die Hand, einen kleinen Moment zu lange. »Morgen? Ich glaube nicht, dass ich da Zeit habe. Wissen Sie was? Kommen Sie doch heute Abend noch einmal vorbei. Vielleicht fällt mir bis dahin etwas ein. Ich werde mir Mühe geben. So gegen sechs, wie wär's?« Dabei pflückte sie eine Blüte vom Strauch und steckte sie Ben ans Revers.
Er roch den Duft und sah den kleinen, braunen Punkt auf ihrer Wange ganz nah. Ben dachte an Vogels Auftrag. »Okay.«
Sie nestelte noch immer an der Blüte herum. »Wissen Sie, wie man diese Blumen in Spanien nennt? Weltblume. Die blauen sehen tatsächlich aus wie kleine Erdkugeln.« Nora Fabian trug wieder ihr patentiertes Starlächeln: Ihr Männer seid alle gleich. Ihr lauert nur darauf, dass sich mein Kimono wie durch Zufall öffnet.
Vielleicht ist es auch umgekehrt, dachte Ben. Leberfleck echt und Haare gefärbt.
12.
Max Traube wohnte in einem Haus, das zu einem sogenannten Aparthotel gehörte. Es bot Wohnungen für Geschäftsreisende, die länger als nur ein paar Tage blieben und mehr Auslauf in ihren vier Wänden brauchten als ein normales Hotelzimmer bot. Der Mann an der Rezeption verwies Ben zum Nebengebäude. Dort gab es einen separaten Eingang mit Klingelschildern, auf denen die Namen berühmter Maler standen. Ben drückte bei Rembrandt.
Als Traube ihn an der Wohnungstür im ersten Stock empfing, erkannte Ben, dass er den Schauspieler an diesem Tag schon einmal gesehen hatte – auf einem der Filmplakate in Nora Fabians Villa.
Traube war ein schlanker, asketisch wirkender Endfünfziger. Grau meliertes, sehr kurz geschnittenes Haar. Im Watzmannhaus spielte er den Hausdiener, eine komische Rolle. Auf den ersten Blick schien er alles andere zu sein als ein Komödiant, doch gerade darin musste er gut sein. Ben hatte Traube einmal im Kino gesehen, in der Rolle des unglücklich Verliebten. Der Titel des Films fiel ihm nicht mehr ein.
Traube bat Ben in sein Apartment. Es wirkte so kalt und anonym, wie es bereits die Fassade des Hotels versprochen hatte. Gegenüber der Küchenzeile hing das einzige Bild, eine Reproduktion: Der Mann mit dem Goldhelm.
»Womit kann ich Ihnen behilflich sein?« Traube fuhr sich über das Stoppelhaar. Er bemühte sich um ein Lächeln, doch es wirkte melancholisch.
Der Raum war perfekt aufgeräumt, was den Eindruck der Kälte noch verstärkte. Entweder kam zweimal täglich ein Zimmermädchen, oder Traube war ein Pedant. Ben
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