Bittere Delikatessen
dass er eine Ausrede für Gabi erfinden müsste.
Eine leichte Übung.
15.
Nora öffnete selbst. Sie hatte den Kimono gegen eine lange, eng anliegende Hose und ein einfaches T-Shirt getauscht. Die Haare hatte sie hochgesteckt. Als sie Ben erkannte, zog sie die Augenbrauen hoch. »Was wollen Sie schon wieder?«, schnauzte sie ihn durch die halb geöffnete Tür an.
»Ich dachte, Sie hätten mich eingeladen.«
»Seit wann fangen Bullen an zu denken?«
»Gut, dann eben nicht. Wiedersehen«, sagte er, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Sie ist schön, dachte er. Richtig schön.
Die Schauspielerin begann zu grinsen. »Jetzt kommen Sie schon rein!«
Er folgte ihr an den Plakaten vorbei und die Treppe hinab. Mitten im Raum blieb sie stehen. Mit einer theatralischen Armbewegung deutete sie auf den Couchtisch. »Trinken Sie mit mir?«
Ben sah die volle, geöffnete Flasche und das leere Glas. »Danke. Ich trinke keinen Alkohol.«
Nora kicherte. »Ich trinke auch nicht, Herr Kommissar.« Sie lachte laut auf. Sie bog sich und schlug die Hände zusammen. Irgendetwas schien äußerst amüsant zu sein, zumindest in ihrer Vorstellung. Ben wartete ab, bis sie sich beruhigte.
Das Lachen mündete in einen tiefen Seufzer. »Besser gesagt: ich darf nicht.«
Jetzt machte sie einen vernünftigen Eindruck. Beachtlich – von irre auf ernst in zwei Sekunden.
»In meinem Vertrag steht: kein Alkohol, keine Drogen, keine Straftaten, keine Kontakte zu Rechtsradikalen. Natürlich weiß Marco, dass ich Alkoholikerin bin – inoffiziell. Das heißt, ich darf unter keinen Umständen rückfällig werden. Sonst ist es aus. Nicht nur mit der Rolle.«
Marco, das war Marco Gladisch, der Programmdirektor von Pro-Sat. Sie duzte ihn, und er wusste inoffizielle Dinge von ihr. Ein inniges Verhältnis, kombinierte Ben. Nora Fabian nahm die Flasche und goss den gesamten Inhalt in einen Pflanzenkübel.
»Wenn sie mich aus der Serie werfen, kann ich meinen Job an den Nagel hängen. Dann bin ich für immer weg vom Fenster. Einmal Alkoholikerin, immer Alkoholikerin.«
Ben roch den Schnaps. Die Pflanze tat ihm leid. Es war Bambus. Sie kicherte wieder. Ben hatte Angst vor einem neuen Lachanfall der Schauspielerin. Schön, dachte er. Schön verrückt.
»Was soll das Ganze?«
»Ich glaube, ich halte das nicht durch. Irgendwann mache ich Schluss. Manchmal ist mir danach zumute.« Sie sprach, als plante sie einen Fahrradausflug. Doch ihre Augen blieben ernst: Wenn die Welt wüsste, welche Abgründe in meiner Seele lauern. »Kapitulieren ist so viel einfacher als Hartbleiben. Geht es Ihnen nicht auch manchmal so?«
»Nein«, antwortete Ben. »Ich hänge am Leben. Das sollten Sie auch tun. Wer kapituliert, kommt nicht ans Ziel.« Zum Teufel, welches Ziel? Er wusste nicht einmal, dass er eins hatte.
Aber Nora nickte und lächelte ihn an. »Es klingt gut, so, wie Sie es sagen.«
Sie deutete auf das große, frei im Raum stehende Ledersofa. Ben ließ sich in die Polster sinken. Nora setzte sich neben ihn, nahm die Füße auf das Leder und umfasste die Knie. Wie ein Kind, dachte Ben.
»Dann machen Sie's. Seien Sie stark«, sagte er.
»Ich versuche es ständig. Aber ich scheitere an mir selbst. Es ist etwas Dunkles in mir. Ich wünschte wirklich, ich wäre tot. Ich mache alle Leute um mich herum nur unglücklich.«
»Das kann ich nicht glauben.«
»Ich langweile Sie mit meinem Selbstmitleid.«
»Nein. Schütten Sie Ihr Herz aus. Das gehört zu meinem Job. Legen Sie Ihre Beichte ab.«
Sie lächelte ihn an. »Sind Sie mein Retter?«
»Brauchen Sie einen?«
»Manchmal.«
»Warum?«
»Manchmal ist es gut, wenn einen jemand bei der Hand nimmt, damit man nicht ständig Fehler macht.«
»Sie meinen das Trinken?«
»Zum Beispiel.«
»Oder meinen Sie Mord?«
Ihre Züge versteinerten sich. Ben fuhr fort: »Wenn Sie gestehen, wird es Sie erleichtern. Es wird Ihnen helfen. Glauben Sie mir.«
»Müssen Sie denn immer wieder damit anfangen?«
»Das ist mein Job.«
»Haben Sie nie Feierabend?«
Ben hatte das Gefühl, dass sie jeden Moment gestehen würde. Er wartete, dass sie weitersprach.
»Ich war's nicht«, sagte sie schließlich. »Trotzdem, ich fühle mich schuldig, weil ich Erleichterung über den Tod meines Stiefvaters empfinde. Aber das können Sie nicht verstehen.«
»Doch, ich verstehe das.«
Sie sah ihn ungläubig an. »Nein, ich verstehe nicht einmal mich selbst. Manchmal fühle ich mich innerlich eiskalt, und meine Oberfläche
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