Bittere Delikatessen
umtun. Vielleicht hat der Mord an Feinkost-Fabian mit Sitten- oder Drogengeschichten zu tun. Sie werden das sorgfältig prüfen, verstanden?«
»Ja.« Eine Welle von Stolz lief durch Tom. Er fuhr in diesem schmucken Benz und wurde vom K1-Chef persönlich in sein neues Aufgabengebiet eingewiesen.
Braunings Hände krallten sich ums Steuer. »Aber zuerst zeige ich Ihnen einen schönen, blutigen Steifen. Damit Sie kapieren, wie bei uns die Musik spielt.« Tom spürte den Blick des Rottweilers auf sich ruhen. »Hier geht es nicht um Kleindealer und minderjährige Nutten. Bei uns geht es um den Tod!« Es lag etwas Beunruhigendes in Braunings Blick.
Auf dem weichen Straßenbelag quietschten die Reifen. In dieser Gegend war Tom aufgewachsen. Heute war hier eine Tempo-30-Zone. Brauning ignorierte die Schilder.
»Ich kenne den Tod, mein Junge«, fuhr er fort. »In all seinen Arten. Ich war dabei, als das Gesicht eines Mannes zerplatzte, weil ein Achtmillimeter-Hohlmantelgeschoss von hinten in seinen Schädel fuhr. Ich habe ein kleines Mädchen gesehen, dessen Gesicht aussah wie ein Kirschkuchen, weil es von seiner Mutter misshandelt worden war.« Erst jetzt fielen Tom die dunklen Ringe um Braunings Augen auf. Vielleicht hatte auch er eine schlaflose Nacht hinter sich.
»Und ich habe meinen Sohn verrecken sehen«, brummte der K1-Chef leise. »Auf einem verschissenen Scheißhaus mit einer Spritze im Arm. Wollen Sie noch mehr hören?«
Tom schluckte. »Schon gut.«
»Meinen Sie, der Tod geht Sie nichts an? Gequirlte Scheiße! Der Tod gehört verdammt noch mal dazu. Keiner will das begreifen. Aber ohne Tod ist das Leben nicht zu haben. Der Herrgott gibt es, der Herrgott nimmt es. Denken Sie daran, wenn Sie vor einer Leiche stehen. Schauen Sie sich die Haut genau an – wie Wachs. Die Augen – wie Glas. Inhalieren Sie den verdammten Leichengeruch! Das macht frei. Dann spüren Sie, dass Sie leben. Danken Sie Ihrem Schöpfer dafür!«
Wieder dieser flackernde Blick. Tom starrte nach vorn.
Brauning lachte kurz auf. »Es gibt natürlich auch Leute, die sich in die Hose scheißen, wenn sie einen Kalten sehen. Gleich werden Sie wissen, ob ein Bulle in Ihnen steckt oder bloß ein Behördenarsch.«
Tom dachte an den Namen des Toten, zu dem sie fuhren. Leo Falk. Ein kaltes Ziehen fuhr durch seine Brust. Wenn die Leute sie nicht weggebracht hätten, hätte sie den alten Mann regelrecht verprügelt.
47.
Ben versuchte, mit Braunings Benz mitzuhalten. Im Autoradio warnten sie vor Bewegung im Freien wegen der Ozonwerte, die bereits am Morgen über irgendeinem Grenzwert lagen. Ben spürte ein fiebriges Zittern. Seine Gelenke schmerzten, sein Rachen kratzte, und er dachte an die vergangene Nacht.
Braunings Verhalten ihm gegenüber war an diesem Morgen das gleiche gewesen wie jeden Tag. Ben blieb nichts anderes übrig, als mitzuspielen. Die Zähne zusammenzubeißen und zu tun, als habe es die letzte Nacht nicht gegeben. Als stamme die Tüte in seinem Kleiderschrank von einer Erbtante. Zu seiner Erkältung gesellte sich Übelkeit.
»Que tal está?«, fragte Ria.
Ben lachte grimmig. »Hoy es mucho movimiento!«
»Du kannst es ja noch.«
Sie hatten den Spanischkurs damals gemeinsam begonnen.
»Ich hab Karten für ein Konzert am Samstag«, sagte Ria. »Wenn du Lust hast, Großer, geb' ich dir eine ab.« Sie hatte das Fenster heruntergekurbelt. Ihr Haar flatterte im Fahrtwind. Die gleiche Frisur wie vor fünf Jahren, dachte Ben.
»Wer spielt?«, fragte er.
»The Babes.«
»Kenn ich nicht.«
»Neo-Punk. Eine reine Frauen-Band. Girlies, weißt du? Freche Gören mit dicken Stiefeln und Schulmädchenkleidern, die auf Lolitas machen.«
»Ist das nicht abartig?«
»Hör auf. Das ist die neue Art von Feminismus!«
»Soweit seid ihr jetzt, dass ihr mit Pädophilen kokettiert?«
»Ich glaube, Benni, du übertreibst jetzt.«
Mit hohem Tempo nahm Ben eine Kurve. Er war sauer. »Erinnerst du dich an die Hefte in Fabians Schlafzimmer? Du fandest sie harmlos.«
»Und du bist völlig durchgedreht.«
»Fabian hat seine Stieftochter missbraucht, von ihrem dreizehnten bis fünfzehnten Lebensjahr.«
»Nein!«
»Noras Mutter hat es mir erzählt. Die Arme ist missbraucht worden. Das hat ihr einen Knacks gegeben. Sie leidet noch heute daran.«
»Ach. Jetzt weiß ich's.«
»Was?«
»Was du an der Schauspielerin findest.«
Ben strich über seine Bartstoppeln. »Ich werde Swoboda sagen, dass er sich darauf konzentrieren soll.
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