Bittere Mandeln
Frauen schwanger wurden, hatten sie oft Abgänge, Frühgeburten oder mißgebildete Kinder. Möglicherweise bestand auch ein Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von Pestiziden und dem Auftreten von Brustkrebs, wie eine Studie über Landarbeiterinnen auf Hawaii ergeben hatte.
Da es in Kolumbien Gesetze gegen den Gebrauch solcher Pestizide gab, hatten Umweltschützer versucht, die Regierung dazu zu bringen, daß sie die Blumenzüchter zur Veränderung ihrer Praktiken anhielt. Doch für jede Region gab es nur zwei Gesundheitsinspektoren, und manche Unternehmen verwehrten diesen Inspektoren den Zutritt zu ihrem Gelände. Dann fuhren die Inspektoren weiter, und die gefährlichen Praktiken wurden fortgesetzt.
Ich schloß die Augen und stellte mir vor, wie es wäre, in einem dichten Nebel aus Pestiziden Blumen für Frauen zu schneiden, die sie in ihren Ikebana-Kursen arrangieren wollten. Die Arbeiterinnen waren in meinem Alter und hatten nur das Pech gehabt, im falschen Land und unter den falschen wirtschaftlichen Bedingungen geboren worden zu sein. Das bißchen Ameisengift war nichts im Vergleich zu dem, was sie täglich zu ertragen hatten.
Ich beobachtete ein Paar mittleren Alters dabei, wie beide sich mit einem Schöpfer Wasser über die Hände gossen, ein symbolischer Akt der Reinigung, bevor sie den Tempel zum Gebet betraten. Meine Gedanken wanderten von den Pestiziden zu der Tatsache, daß mir das Geld zwischen den Fingern zerrann. Seitdem ich dem Händler aus Kyoto den Wandschirm mit dem Goldmuster verkauft hatte, war kein Geld mehr hereingekommen – und trotzdem hatte ich mir Blumen in My Magic Forest und ein Ikebana-Gefäß geleistet. Wenn ich so weitermachte, würde ich in einem Monat nicht einmal mehr genug für Reis haben, geschweige denn für pestizidfreie Blumen von My Magic Forest.
Irgendwie kamen mir die beiden, die sich gerade die Hände gewaschen hatten, bekannt vor. Sie standen nicht weit vom Hauptgebäude des Tempels entfernt, einem Holzbau mit offenen Türen, hinter denen sich eine bronzene Buddhafigur befand. Als ich den vertrauten lavendelfarbenen Mantel sah, wußte ich, daß die Frau Tante Norie war. Ihr Begleiter hatte einen leichten Koffer auf Rädern dabei. Die Haare auf seinem nach vorn geneigten Kopf wurden an den gleichen Stellen schütter wie die meines Vaters. Ich erkannte Onkel Hiroshi, der endlich aus Osaka angereist war. Er und meine Tante waren zu dem Schrein gekommen, um zu beten, ohne zuvor sein Gepäck in meine Wohnung zu bringen.
Sie waren direkt an mir vorbeigegangen, ohne mich auf der Bank unter den Kirschbäumen zu bemerken, auf der ich vor mich hingrübelte. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie im Gebet stören oder bleiben sollte, wo ich war.
Nachdem Tante Norie ihr Gebet beendet hatte, indem sie ein paar Münzen in den Holzkasten vor dem Buddha warf, drehte sie sich um und entdeckte mich. Sie fing an zu strahlen und rief meinen Namen. Onkel Hiroshi verbeugte sich, allerdings nicht förmlich bis auf Taillenhöhe, sondern nur kurz mit Kopf und Schultern.
»Willkommen zu Hause, Ojisan. Wie schön, daß du wieder da bist.« Die Worte klangen flach, aber ich wußte wirklich nicht, was ich sonst zu dem Mann hätte sagen sollen, den ich nach seiner Versetzung in die Niederlassung seiner Firma in Osaka zwei Jahre lang nicht mehr gesehen hatte. Ich hatte nicht den Eindruck, daß die Jahre der Trennung von Norie gut für ihn gewesen waren: Er hatte zugenommen, und auf seinem Gesicht war ein müder, unglücklicher Ausdruck. Ob meine Tante wohl immer noch froh darüber war, sich das Recht, ihn zu heiraten, erstritten zu haben?
»Was für ein hübscher Anblick – meine Nichte unter Kirschblüten.« Zum Glück klang Onkel Hiroshis Stimme immer noch wie früher, genauso tief und sonor wie die meines Vaters. Betonung und Akzent ähnelten sich, auch wenn die Sprache eine andere war. Mein Vater redete normalerweise Englisch mit mir, während Hiroshi sich natürlich auf japanisch mit mir unterhielt.
Ich wandte mich hastig mit einer Ausrede an meine Tante, damit sie nicht dachte, ich sei ihr gefolgt: »Ist das hier nicht ein hübscher Ort? Ich komme manchmal zur Mittagszeit her.«
»Hast du schon etwas gegessen?« Norie beäugte voller Abscheu die Sushi-Schachteln und -Papierchen um mich herum.
»Nein! Das sind wohl die Überreste von den Kirschblütenpartys.«
»Es ist schrecklich, wenn eine Stätte des Gebets so schmutzig ist! Die Feiernden dürfen nur auf den Straßen trinken, aber
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