Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bittere Pille

Bittere Pille

Titel: Bittere Pille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
Vom Netzwerk:
aus dem Wasser geborgen. Über den genauen
Tatzeitpunkt können noch keine Angaben gemacht werden, da das
Ergebnis der Obduktion zur Stunde noch aussteht. Fest steht
allerdings, dass der Unbekannte einer Schussverletzung erlag, bevor
er von seinem Mörder in den See geworfen wurde. Die Polizei
steht vor einem Rätsel, denn der Tote trug keine Papiere bei
sich und taucht auch in keiner Vermisstenmeldung auf.« Der
Sprecher machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Das
waren die Lokalnachrichten, das Neueste aus der Region mit
Jörn Zacharias, Sie hören Radio Berg-Land.« Er
verlas den Wetterbericht, danach ertönte ein Verkehrsjingle,
und der Nachrichtensprecher des privaten Radiosenders meldete, dass
alle Straßen im Bergischen Land frei waren. Wieder ein
Jingle, dann übernahm eine weibliche Stimme das Mikrofon. Die
Moderatorin stellte sich mit dem Namen Sonja Hamke vor. »Es
ist Sonntag, die Sonne scheint, und hier geht es weiter mit der besten
Musik. Schön, dass Sie eingeschaltet haben, denn hier
kommt This
is the Life von Amy McDonald …« Sie
drehte die Lautstärke des Autoradios zurück. Um ein Haar
wäre sie bei der Meldung gegen die linke Leitplanke gefahren.
Eilig setzte sie den rechten Blinker, drosselte das Tempo und
setzte sich dicht vor ein holländisches Wohnwagengespann. Der
Fahrer quittierte ihr Verhalten mit der Lichthupe. Fest umklammerte
sie das Lenkrad. Weiß traten die Knöchel ihrer Finger
unter der Haut hervor.
    Im letzten Augenblick
sah sie die Abfahrt zu einer Rastanlage. Sie setzte den Blinker,
nahm den Fuß vom Gas und steuerte den Wagen auf das
Gelände der Raststätte. »Ohligser Heide«, las
sie den Namen der Raststätte am ausladenden Überbau der
Tankanlage. An den Zapfsäulen sah sie auch wieder Fahrzeuge
mit gelben Kennzeichen. Sie fragte sich, ob in Holland schon die
Sommerferien begonnen haben und halb Holland auf dem Weg in die
Alpen sei. Vor der gläsernen Front der Tankstelle stoppte sie
und löste den Sicherheitsgurt. Den Motor brauchte sie nicht
abzuschalten, denn als sie den Fuß von der Kupplung nahm,
vollführte der Wagen einen Hüpfer nach vorn, und der
Motor erstarb mit einem gequälten Gurgeln. Bevor sie ausstieg,
warf sie einen Blick auf das Display des Radios. Tatsächlich
las sie dort den Namen des Senders, den der automatische
Sendersuchlauf gefunden hatte. »Berg-Land« stand dort.
Den Namen hatte sie nie zuvor gehört. Wahrscheinlich handelte
es sich um einen dieser unzähligen
Privatsender. 
    Jetzt sank sie
über das Lenkrad, schloss die Augen und spürte, wie sich
Tränen darin sammelten.
    Er ist tot,
hämmerte es in ihrem Schädel. Sie hatte es
gewusst!
    Im Radio hatten sie
von ihm gesprochen. Schwer hob und senkte sich ihr Brustkorb. Immer
wieder schüttelte sie ungläubig den Kopf. Sie lauschte
gedankenverloren dem monotonen Rauschen der nahen Autobahn, die auf
diesem Teilstück dreispurig in südlicher Richtung
verlief. Ein LKW rumpelte vorbei und ließ sein Presslufthorn
aufheulen. Erschrocken wirbelte sie herum, schrie ihm ein
»Arschloch!« hinterher und sank wieder in das Polster
des Sitzes. Plötzlich fühlte sie sich einsam und
verlassen. Sie war alleine auf dieser Welt. Es gab ihn nicht mehr,
sie fühlte es regelrecht. Hätte sie doch gestern
bloß die Polizei eingeschaltet! Es war nichts als ein
Gefühl, aber dieses Gefühl schien ihr das Herz aus der
Brust zu reißen. Sie hatte keinerlei Anhaltspunkte, aber sie
wusste, dass es sich bei der Leiche im See um ihn handeln musste.
Deshalb hatte sie ihn nicht erreicht, deshalb war sein verdammtes
Telefon aus gewesen gestern. Nach einer Nacht voller Angst hatte
sie sich in ihr Hotelbett verkrochen, hatte am Morgen danach
gefrühstückt, obwohl sie eigentlich keinen Hunger
verspürt hatte, war stundenlang orientierungslos durch die
Stadt im engen Tal der Wupper gefahren, stets in der Hoffnung, ihn
zufällig anzutreffen. Und sie hatte immer wieder mit dem
Gedanken gespielt, die Polizei einzuschalten. Aber sie hatte sich
an seine Worte erinnert. »Bloß keine Polizei - ich will
keine schlafenden Hunde wecken, sonst spucken die mir letzten Endes
noch in die Suppe«, hatte er immer wieder gesagt. Und sie
hatte auf seine Worte gehört, hatte versucht, alleine
zurechtzukommen. Vergeblich, denn jetzt war er tot, und sie gab
sich eine Mitschuld daran. Sie hatten ihn aus dem Weg geräumt,
weil er zu gefährlich geworden war. Und sie hatte tatenlos
zugesehen.
    Hätte sie doch
bloß …
    »Geht es Ihnen
nicht

Weitere Kostenlose Bücher