Bittere Pille
hilfesuchend mit großen Augen an. Er hatte
seine eigene Adresse vergessen, können Sie sich das
vorstellen? Ein erwachsener Mann, der im Berufsleben gestanden hat
und immer wusste, was er wollte. Diesen Blick werde ich nie
vergessen. Hilflos, wie der Blick eines Kindes. Wir sind direkt zum
Arzt, aber der konnte uns nicht helfen. Er sagte, es gäbe zwar
Medizin, aber die Handhabung würde zu viele Risiken bergen.
Der Hausarzt stellte Franz auf den Kopf, mahnte ihn, sich
abwechslungsreich zu ernähren, wenig Alkohol zu trinken und
viel zu schlafen. Er hielt sich daran - meistens jedenfalls. Mein
Gott, sollte ich ihm sein wohlverdientes Feierabendbier verweigern?
Es wurde nicht besser, im Gegenteil. Er wurde zusehends
vergesslicher. Schlimm wurde es, wenn ich ins Zimmer kam und er
mich nicht erkannte. Wenn ich ihm sagte, seine Frau zu sein,
schüttelte er energisch den Kopf, wurde aggressiv und nannte
mich eine elende Hochstaplerin. Schlimm, kann ich Ihnen
sagen.«
»Wie sind Sie
auf Dr. Brechtmann gekommen?« Es war das erste Mal, dass
Heinrichs sich zu Wort meldete.
»Durch einen
Bekannten von Franz. Dessen Chef ist mit ihm befreundet. Und er hat
es auch möglich gemacht, dass Franz sich bei Dr. Brechtmann in
Behandlung begeben konnte. Ich werde ihm ewig dankbar
sein.«
»Aber die Hilfe
kam zu spät.«
Ulbricht warf seinem
Assistenten einen bösen Blick zu. Hätte er diesen
Schnösel besser zu Hause gelassen, dachte er wütend.
»Leider, ja.« Margarete Dahlhaus hatte nichts von den
feindseligen Blicken, die die Männer austauschten,
mitbekommen. »Dabei hat Dr. Brechtmann sich wirklich
Mühe gegeben. Er hat meinem Mann versprochen, ihm ein
völlig neuartiges Instrument einzusetzen. Das sei nichts
Gefährliches mehr. Seit dem Herzschrittmacher wissen wir alle,
dass der menschliche Körper technische Instrumente gut
annimmt.«
»Was war das
für ein Gerät?« Ulbricht war hellhörig
geworden. Vor einer Stunde war er von Stefan Seiler zum Luisen-Cafe
gerufen worden. Eine junge Frau, die in Brechtmanns Klinik
arbeitete, hatte eine geheime Akte herausgeschmuggelt. Es hatte
sich um die Akte des Patienten Franz Dahlhaus
gehandelt.
Ulbricht trommelte
nervös auf dem Tisch herum. Margarete Dahlhaus berichtete ihm,
dass es sich dabei um ein völlig neuartiges Gerät
handelte, das kontinuierlich ein Medikament an den Körper
abgab, um das kranke Gehirn ihres Mannes zu stimulieren. Brechtmann
habe ihr zwar erklärt, wie das funktionierte, aber sie hatte
kaum etwas verstanden. »Ich habe doch keine Ahnung von
solchen Dingen«, sagte sie fast entschuldigend.
»Schließlich bin ich kein Arzt.«
Ulbricht fand, dass es
an der Zeit war, ein Gesetz zu erlassen, welches bestimmte, dass
Ärzte ihre Patienten - und deren Angehörige - klar über
Fakten und mögliche Risiken aufklären mussten. Mit
medizinischen Fachausdrücken schafften sie nur Verwirrung und
verunsicherten die Menschen, die sich in ihre Obhut begaben.
»Ihr Mann wurde kurz nach seinem Tod verbrannt?«
Heinrichs brachte ihn unsensibel, wie er in Ulbrichts Augen war,
auf den Boden der Tatsachen zurück.
»Ja. Es war sein
letzter Wunsch. Ich habe ihm diesen Wunsch
erfüllt.«
Schade, dachte
Ulbricht, verkniff sich jedoch eine passende Bemerkung. Er nickte
Heinrichs zu und erhob sich.
Margarete Dahlhaus
brachte sie zur Tür. Ulbricht drückte ihr noch mal sein
Bedauern über den Tod ihres Mannes aus, dann waren die beiden
Beamten im Treppenhaus.
»Und?«
Heinrichs hatte die Hände in den Taschen vergraben. Ulbricht
sehnte sich nach einer Zigarette. »Brechtmann ist ein
Arschloch. Das müssen wir ihm jetzt nur noch
nachweisen.«
44
Ohligsmühle,
18:40 Uhr
Ein Blick auf die Uhr
im Handydisplay. Gut, wenn sie gleich nach Hause kam, würde
sie Lena bei der Mutter abholen und bettfertig machen. Sie war gut
in der Zeit, war noch ein wenig durch die Elberfelder City
geschlendert, um sich abzulenken. Danni hatte mit dem Gedanken
gespielt, den Job als Ärztin in der Privatklinik Wiesenhang
hinzuschmeißen. Dort liefen linke Geschäfte, und das war
nun wirklich nicht das, was sich die junge Frau unter einem Beruf
im Gesundheitswesen vorgestellt hatte. Sie wollte Menschen helfen.
Auch das Gespräch mit Stefan Seiler hatte sie sich ein wenig
anders vorgestellt. Er schien in festen Händen zu sein -
schade. Immerhin hatte er es geschafft, einen wichtigen
Kriminalhauptkommissar aus dem Feierabend zu holen. Ulbricht war in
Begleitung eines flippigen Typen mit blonden
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