Bittere Sünde (German Edition)
Ließ seine Worte sacken. Sie tauchten in ihr Bewusstsein ein. Es war schwer genug, nachzuvollziehen, warum ein Mensch tötete. Aber eine Schändung, die blieb einfach unbegreiflich.
»Glauben Sie, das Haus gehört dem Täter?«, fragte sie leise.
»Wir wissen noch nichts. Roger prüft das gerade. Nein, jetzt müssen wir aufhören, ich habe schon viel zu viel erzählt. Richten Sie Magnus bitte aus, er soll mich so schnell wie möglich anrufen?«
»Mache ich.«
Linn legte auf. Die Gewissheit über Jonas’ Tod schmerzte, und schon bald würde auch Magnus diese Nachricht treffen. Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen, doch diesmal hielt sie sie nicht auf.
128
Ein wahnsinniger Schmerz holte ihn aus der Bewusstlosigkeit. Magnus war in einer grotesken Haltung gefesselt, sein Körper nach hinten überstreckt wie ein Bogen. Die Spannung war so stark, dass sie ihn zu zerreißen drohte. Dünne Seile verbanden seine Hand- mit den Fußgelenken, und er hatte Blutgeschmack im Mund.
Er stöhnte gequält und öffnete die Augen. Absolute Dunkelheit umgab ihn, doch allmählich gewöhnte er sich daran, und dunkle Schatten lösten sich aus dem tiefen Schwarz.
Er lag auf dem Boden im Wohnzimmer von Annika Wiréns Haus. Verzweifelt blickte er sich um, konnte aber niemanden erkennen. Es klapperte, als würde jemand eine Besteckschublade durchwühlen. Bloß wo?
Er zerrte an den Seilen, was nur dazu führte, dass sie noch tiefer in seine Haut einschnitten. Magnus unterdrückte einen Schrei. Blind knibbelte er mit den Fingerspitzen an den Fußfesseln, während er aufmerksam das Geräusch hinter sich verfolgte. Mit einem Mal war er sich sicher, dass jemand in der Küche nach passenden Werkzeugen suchte. Nach etwas, was er gegen ihn richten konnte, etwas, mit dem er ihn töten konnte.
Panik überwältigte ihn, er spürte, wie er langsam die Nerven verlor. Er schloss die Augen, um sich zu beruhigen. Erinnerungsfragmente tauchten plötzlich vor seinem inneren Auge auf. Der Mann mit dem kindlichen Aussehen, die Spritze, die ihn im Rücken getroffen hatte. Magnus musste all seine Kraft zusammennehmen, um nicht laut loszubrüllen. Irgendwie beschlich ihn nämlich das Gefühl, dass der Mann genau darauf nur wartete. Er wollte, dass Magnus bei Bewusstsein war, während er ihn tötete.
Dann musste er an Annika denken. War sie etwa mit von der Partie? Oder hatte er sie längst aus dem Weg geschafft? Er starrte erneut in die Dunkelheit, konnte sie aber nirgendwo ausmachen.
Magnus unternahm einen weiteren Versuch, seine Fesseln zu lösen, und bekam diesmal das Ende des Seils zu fassen, das um seine Fußgelenke gebunden war. Aber egal, wie sehr er daran zog, schien der Knoten davon, wenn überhaupt, nur noch fester zu werden. Allmählich staute sich das Blut, und seine Füße wurden taub.
Ich muss hier raus!
Magnus bemerkte, dass er hyperventilierte.
Denk nach!
Das klirrende Geräusch hatte aufgehört, und die plötzliche Stille ließ ihn vor Schreck erschaudern.
Er versuchte, schlafend auszusehen, gab sich Mühe, den Körper schlaff und entspannt wirken zu lassen trotz dieser extremen Haltung. Durch die geschlossenen Lider bemerkte er, dass sich etwas an den Lichtverhältnissen geändert hatte. Eine Lampe brannte in einiger Entfernung, und nun fielen Lichtstrahlen in das dunkle Zimmer. Schnelle Schritte näherten sich, verharrten einen Augenblick, kamen dann noch weiter heran. Magnus hörte, dass jemand um ihn herumging, spürte, wie er betrachtet wurde, und wie dann jemand ziemlich nah stehen blieb. Er gab sich größte Mühe, ruhig und tief zu atmen, um den Eindruck zu erwecken, dass er schlief.
Ein kalter Finger strich ihm plötzlich über die Wange und weiter den Hals hinunter. Magnus spürte, wie sein Herz raste.
Nicht bewegen, bloß nicht bewegen
, ermahnte er sich.
»Ich weiß, dass du wach bist. Du kannst die Augen aufmachen.«
Die Stimme klang hell und genervt. Magnus erkannte sie sofort wieder. Widerwillig öffnete er die Augen und versuchte, in dem schwachen und trotzdem blendenden Licht den Mann auszumachen, der neben ihm hockte. Seine Augen tränten, und er musste kräftig blinzeln. Doch schon bald konnte er die Gesichtszüge des Mannes erkennen. In seinen Augen lag Ruhe und Melancholie, aber bevor Magnus etwas sagen konnte, stand der Mann auf und verließ das Zimmer. Das Licht erlosch.
Magnus stöhnte, sein Körper zitterte vor Schüttelfrost. Je länger er in dieser Position bleiben musste, desto schwächer würde er
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