Bittere Sünde (German Edition)
Wochenende.«
Roger nickte betreten. »Also gut, aber erst am Nachmittag. Morgen Vormittag muss ich erst noch etwas Wichtiges erledigen.«
Magnus hob verwundert eine Augenbraue, doch sein Kollege starrte beharrlich geradeaus auf die dunkle Straße, als wäre das Thema für ihn damit erledigt.
Kurz darauf hatte er Roger bereits vor seiner Wohnung in der Sankt Paulsgatan in Södermalm abgesetzt und befand sich auf dem Weg nach Aspudden.
Als er zu Hause ankam, brannte kein Licht mehr. Obwohl es erst kurz nach acht war, lagen Linn und die Mädchen schon im Bett und schliefen. Magnus wurde bei dem Anblick ganz warm ums Herz. Er legte auf allen Seiten des Bettes Kissen auf den Boden, damit sich die Kinder nicht wehtaten, sollten sie hinauskullern. Dann verkroch er sich aufs Sofa im Wohnzimmer. Seine Beine fühlten sich an, als wäre Sprudel darin. Er rechnete mit einer weiteren schlaflosen Nacht.
TEIL ZWEI
12
Der Tag, an dem Carlos Fernandez in der Nähe seines Geschäfts aus dem Auto gezerrt und zu Boden geprügelt werden würde, fing an wie jeder andere Tag auch. Er hatte Kaffee getrunken, Brot mit Schinken gegessen, seiner Frau einen Kuss auf die Wange gegeben und überlegt, was er anziehen sollte. Noch war ihm glücklicherweise nicht bewusst, dass sein Leben in Kürze eine grausame Wendung erfahren würde.
Es war nicht sonderlich warm draußen, trotzdem hatte er das Autofenster heruntergekurbelt und ließ sich vom kühlen Fahrtwind das Gesicht kitzeln. Er war frisch rasiert, und sein Aftershave mischte sich mit dem Geruch des feuchten Asphalts. Ein Stück weiter die Straße hinunter schleppte der Kioskbesitzer gerade einen Müllsack nach dem anderen vor die Tür, ein paar Kinder in Schuluniformen schnatterten laut, und ein Lastwagenfahrer lud große Kisten voller Fleisch vor der Metzgerei ab. Alles ging seinen gewohnten Gang, ja, sogar die Straßenhunde drehten ihre übliche Runde durch sein Viertel.
Carlos führte mit seinem Bruder einen Bücherstand auf der Plaza Dorrego, einem der charmantesten Plätze in Buenos Aires. Sie hatten damit anfangen, als sie noch studierten, und zu ihrer Freude bald festgestellt, dass sie tatsächlich davon leben konnten. Nun rauschten die Tage nur so vorbei. Hinter ihren Bücherstapeln tranken die Brüder Tee, diskutierten über Politik, lasen ohne Unterlass und suchten nach den spannendsten Neuerscheinungen für ihre Kunden. Wenn sie spätabends zu ihren wartenden Ehefrauen aufbrachen, taten sie das in dem Wissen, dass ihr Leben ein gutes war.
Rund um den Platz gab es weitere Stände, an denen auch Handgearbeitetes wie Schmiedearbeiten oder gemusterte Stoffe feilgeboten wurde. Außerdem stand dort eine runde Bühne, die von großen Blumentöpfen umgeben war. Wie jeden Samstag würde auf dieser Bühne auch heute Tango getanzt werden. Doch das würde Carlos schon nicht mehr miterleben. Unbedacht hatte sein Bruder nämlich einem Bekannten gegenüber geäußert, dass Carlos nicht viel von der Militärjunta hielt.
Als Carlos endlich seine Frau wiedersah, waren fast zwei Jahre vergangen. Er wog nur noch achtundfünfzig Kilo und litt unter akutem Flüssigkeitsmangel. Sein Körper war von Narben übersät, Knochenbrüche waren schief zusammengewachsen und der rechte Arm wies eine frische Fraktur auf. Die schwersten Schäden aber hatte seine Seele genommen. Er war als gebrochener Mann zurückgekehrt, der seine Lebensfreude verloren hatte.
Natürlich versuchte er einen Neuanfang. Aber die Erinnerungen an die Folterkeller der Junta schwirrten wie verlorene Satelliten immerwährend durch sein Bewusstsein. Immer öfter blieb er bis zum späten Nachmittag im Bett. Wenn er dann doch mal aufstand, schlich er geräuschlos durch die Wohnung. Für das, was er erlebt hatte, gab es keine logische Erklärung, genauso wenig konnte er auf Erlösung hoffen. Sein Körper war zwar frei, aber seine Seele blieb eine Gefangene. Für die einfachsten Erledigungen brauchte er Tage, ein einzelner, böser Kommentar reichte, und er brach zusammen. Seine Frau unterstützte ihn, kämpfte mit ihm, doch schlussendlich konnte sie ihren Mann nicht mehr ertragen. Sie hatte das Gefühl, er würde sie mit in die Tiefe reißen, um es sich mit ihr in der ewigen Dunkelheit bequem zu machen. Schweren Herzens verließ sie ihn.
Dann fasste Carlos einen Entschluss. Er wollte dem Militär die Genugtuung verweigern, ihn gebrochen zu haben. Er würde in ein anderes Land ziehen und ein neues Leben beginnen. Die Höllenqualen,
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