Bittere Sünde (German Edition)
die er durchgestanden hatte, sollten darin nichts zu suchen haben. Er würde sie so lange unterdrücken, bis sie zuletzt verschwinden würden.
Karina Sunfors wusste von alledem nichts, als sie Carlos fast zwanzig Jahre später kennenlernte. Sie sah einen Mann vor sich, der sich von allen anderen Männern unterschied, denen sie in ihrem bisherigen Leben begegnet war. Einen Mann mit sorgenvollem Blick und langen, dunklen Wimpern. Damals war sie zweiundvierzig, doch dank ihm kam sie sich manchmal vor wie ein frisch verliebter Teenie. Und selbst Carlos lächelte das erste Mal seit Jahren. Durch sie konnte er vergessen, und deshalb traf er die Entscheidung, ihr nie zu erzählen, was er erlebt hatte. Natürlich fragte sie sich, woher die vielen Narben kamen und warum Carlos manchmal zusammenzuckte, wenn sie ihn zärtlich berührte. Er hatte zwar behauptet, in Argentinien in einen schweren Autounfall verwickelt gewesen zu sein, doch sie glaubte ihm nicht. Zu oft wurde sie von seinen erschütternden Schreien aus dem Schlaf gerissen. Außerdem erkannte sie den Schmerz, der in seinen Augen lag, doch sie bohrte nicht nach. Sie wartete vielmehr darauf, dass er eines Tages von selbst alles erklären würde. Sie wünschte sich sehnlichst, dass er sich ihr von sich aus anvertrauen würde, aber nichts geschah.
Bis zu dem Tag, an dem die beiden zu einem großen Elektrohandel nach Arninge fuhren, um einen Toaster zu kaufen. Da geschah es endlich. Doch es kam anders, als sie es sich erhofft hatte.
13
Carlos hatte schlecht geschlafen. Der Albtraum hatte ihn wieder geplagt, und zwar auf grausamste Weise, hatte ihn mitgenommen in die Verliese der Militärjunta von vor über dreißig Jahren. Carlos wurde mit einem Stromkabel blutig gepeitscht und mit einem Knüppel so lange geschlagen, bis sein Arm gebrochen war.
»Wie wär’s mit diesem roten Toaster? Der sieht schon irgendwie cool aus.«
Karinas Stimme holte ihn zurück. Dankbar sah er sie an. Die ganz alltäglichen Dinge waren seine Rettung. Jede Minute beschäftigte er sich mit so etwas, damit seine Gedanken nicht in die Vergangenheit abdriften konnten.
»Und was ist, wenn wir die Küche neu streichen? Dann passt er vielleicht nicht mehr so gut«, lächelte er.
Karina zuckte mit den Schultern.
»Erstens haben wir gerade erst renoviert, und zweitens halten Toaster sicher nicht ewig«, sagte sie in einem Ton, der deutlich zu verstehen gab, dass sie zukünftig Brot mit diesem Apparat toasten wollte.
Carlos wog kurz die Alternativen ab und kam dann zu dem Schluss, dass dies wirklich kein Grund zum Streiten war.
»Dann nehmen wir eben den roten«, stimmte er heiter zu.
An der Kasse geschah es. Während Karina den Kassenbon unterschrieb, ließ Carlos den Blick zu den Rasierapparaten wandern, die unweit der Kasse auslagen. Dabei registrierte er flüchtig einen Mann im Profil, und einen Moment später traf es ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Blitzschnell schaute er zurück zu dem Mann, der dort stand und einen Rasierapparat von allen Seiten betrachtete. Natürlich war er gealtert, hatte viele Falten und graue Haare bekommen, aber das war er, zweifellos.
Carlos spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Tausende Male war Pedro Estrabous Gesicht in seinen Träumen aufgetaucht, und genauso oft hatte Carlos ihm Rache geschworen. Und jetzt stand Pedro gerade mal fünf Meter von ihm entfernt in einem Elektrohandel in Arninge, und Carlos fühlte sich komplett handlungsunfähig.
Karina wandte sich um und legte eine Hand auf seine Schulter.
»Wollen wir?«
Er zuckte zusammen.
»Ja.« Er nahm Karinas Hand und steuerte schnellen Schrittes auf den Parkplatz zu.
Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert, er war blass und schwitzte.
Karina sah ihn beunruhigt an. »Was ist denn auf einmal los?«
Carlos warf einen Blick über die Schulter. Pedro Estrabou stand immer noch dort und studierte Rasierapparate. Als sie an ihrem Wagen angekommen waren, sagte er: »Steig ein, Karina, sofort.«
»Bitte?«
»Setz dich ins Auto.«
Karinas Augen wurden groß vor Verwunderung, so hatte sie ihn noch nie erlebt. »Was ist los?«
Carlos hielt ihr die Beifahrertür auf. »Erzähl ich dir gleich, rein mit dir.« Die Verzweiflung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Karina stieg schweigend ein, und wenige Sekunden später saß Carlos auf dem Fahrersitz neben ihr. Seine Augen waren weit aufgerissen, und sein Blick klebte an den Eingangstüren des Elektrohandels.
»Hör zu. Da kommt
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