Bittere Sünde (German Edition)
sich wieder einigermaßen gesammelt hatte, beugte sie sich vor, um einen Blick in den Schrank zu werfen. Außer einem Eimer mit eingetrockneter Farbe in einer Plastiktüte befand sich nichts darin. Woher kam dann dieser entsetzliche Gestank?
Sie stieß den Farbeimer mit dem Fuß an, um zu prüfen, ob sich etwas dahinter befand. Nichts.
Der Schrank war tief, machte sogar einen Knick. Die Wände bestanden aus schimmeligen Spanplatten. Rochen die etwa so extrem?
Einer Eingebung folgend machte sie einen Schritt hinein, doch als sie den Fuß aufsetzte, gab die Diele nach, und sie fiel vornüber in die hintere Wand des Schranks. Das faulige Holz gab nach und brach der Länge nach durch.
»Scheiße!«, fluchte sie erschrocken.
Sie beeilte sich, wieder auf die Füße zu kommen, und versuchte verzweifelt, etwas in der Dunkelheit zu erkennen, die sie nun umgab. Der schreckliche Gestank war sogar noch intensiver geworden. Es hämmerte wie verrückt in ihrem Kopf, selbst kleinste Bewegungen verschlimmerten den Schmerz, und die Dunkelheit jagte ihr Angst ein. Sie musste schnellstmöglich hier raus.
Sie warf einen letzten Blick um sich und erkannte, dass dort ein Hohlraum hinter der nun zerbrochenen Rückwand sein musste. Etwas in ihr begriff allmählich widerwillig, woher dieser entsetzliche Gestank kam … Sie wollte um Hilfe schreien, aber es würde sie sowieso niemand hören. Deshalb tastete sie sich langsam rückwärts, den Blick unverwandt auf das dunkle Loch gerichtet. Panik erfasste ihren ganzen Körper, sie wirkte wie ein betäubendes Gift, das ihr das Atmen fast unmöglich machte. Linn stürzte über die Türschwelle, sprang auf und rannte los, aus dem Schlafzimmer, aus dem Haus. Verzweifelt riss sie an der Fahrertür, doch die klemmte erst, gab dann endlich nach, sodass Linn sich endlich ins rettende Auto wuchten konnte. Der Motor startete mit einem Stottern, sie setzte mit Wahnsinnsgeschwindigkeit zurück und düste vom Hof.
Erst, als sie sich auf der Autobahn befand, konnte sie wieder richtig denken. Ihr zitterten die Hände, und sie umfasste das Lenkrad so fest, dass die Fingerknöchel ganz weiß wurden.
Zwei Mal fuhr sie falsch ab. Sie wurde immer verzweifelter.
72
Annika Wirén war erst für den Spätnachmittag bestellt, weshalb Magnus sich einen Kaffee mit Milch in einem Café in der Nähe des Präsidiums genehmigte. Es war ein älteres Lokal, gänzlich unhip und ein wenig abgenutzt, genauso, wie er es mochte. Er hatte sich nie wirklich in diesen Designcafés wohlgefühlt, die Caffè Latte und Ciabatta anboten. Und das war nur einer seiner konservativen Charakterzüge. Manchmal dachte er, er wäre in den Fünfzigerjahren besser aufgehoben gewesen, lange bevor Computer, Twitter und Facebook den Alltag so extrem bestimmten. Selbst Handys mochte er nicht, er wollte einfach nicht vierundzwanzig Stunden am Tag für jeden erreichbar sein.
Er rührte in der Tasse. Vielleicht sollten sie wirklich aufs Land ziehen, sämtliche Handyverträge kündigen und Fernseher und den ganzen anderen Kram abmelden.
Er lächelte vor sich hin. Moa und Elin wären sicher absolut begeistert davon, in der Einöde aufzuwachsen und immer auf jemanden angewiesen zu sein, der sie irgendwo hinbrachte. Dabei gehörte er ja selbst nicht mal im Entferntesten zu den Naturfanatikern, schließlich bekam man mittlerweile ja schon Borreliose, wenn man bloß die Nase in den Wald hielt.
Dabei waren Krankheiten, die von Zecken übertragen wurden, gerade seine letzte Sorge. Das Lächeln erlosch, und Magnus schob die Tasse weg. Während er sich wieder ins Präsidium begab, fiel ihm auf, dass er das Handy auf lautlos gestellt hatte. Er hatte sieben neue Nachrichten auf der Mailbox, alle von Linn. Beunruhigt hastete er in sein Büro, doch noch bevor er ihre Nummer wählen konnte, ging die Tür auf, und Linn stürzte herein. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Ihr Blick war rastlos.
»Was ist passiert?«
Sie schüttelte den Kopf, war viel zu aufgewühlt, um zu sprechen.
»Ist was mit den Kindern?«
»Nein, nein, nein!« Linn ließ sich auf einen der Stühle fallen und kämpfte mit Mühe die Tränen zurück. Die Hände zitterten.
»Jetzt red doch, was ist los?« Magnus’ Sorge ließ die Frage barscher klingen als beabsichtigt.
»Ich war in Flaxenvik auf Berggrens ehemaligem Hof.«
»Wie bitte?«
»Du hast mich schon verstanden. Ich wollte alles mit eigenen Augen sehen.«
»Sag mal, tickst du noch ganz richtig
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