Bittere Sünde (German Edition)
madenzerfressenen Leichnam wenig beeindruckt.
»Na ja …« Magnus schaute angewidert dorthin, wo einmal ein Gesicht gewesen war. Es war bis zur Unkenntlichkeit zersetzt.
Eva Zimmer drehte sich zu ihm um und ließ das Skalpell mit einem Klirren ins Waschbecken fallen. »Aber es handelt sich definitiv um eine Frau, und ich liege sicher nicht falsch mit der Behauptung, dass sie um die siebzig gewesen ist«, sagte sie.
Magnus wandte sich ab. Der dünne Körper war merkwürdig verdreht, so als würden die physikalischen Gesetze nicht mehr für ihn gelten.
»Wie ist sie gestorben?«
»Das herauszufinden war kein Kunststück, ihr Körper weist um die zwanzig Messerstiche auf. Das Messer müsste ungefähr die Größe eines Schnitzmessers haben.«
»Gibt es Verbrennungen?«
Eva schüttelte den Kopf.
»Und die Verletzungen im Gesicht?« Magnus wirkte gequält.
»Bisher gehe ich davon aus, dass sie ihr erst nachträglich zugefügt wurden, wahrscheinlich um die Identifizierung zu erschweren. Sämtliche Knochen wurden mit einem hammerähnlichen Gegenstand zertrümmert.«
Magnus seufzte schwer.
Eva lächelte ihn fröhlich an. »Später kommt ein Zeichner vorbei, mit dem ich ihr Gesicht rekonstruieren will. Das wird richtig spannend.«
Magnus starrte sie mit unverhohlener Verwunderung an. »Du lebst wirklich in einer anderen Welt.«
Noch immer lächelte sie freundlich. Magnus fand, dass sie eine unnatürliche Gleichgültigkeit an den Tag legte. So, als wären all die Toten nichts weiter als hochinteressante Forschungsobjekte für sie.
» DNA ?«, fragte er knapp.
»Nur ihre eigene, und die ist nicht bei uns verzeichnet. Wir können also wirklich nicht sagen, um wen es sich handelt.«
»Was ist mit dem Gebiss? Könnte man sie anhand der Zähne identifizieren?«
»Die sind ihr alle gezogen worden, jeder Einzelne. Ihr habt es diesmal mit einem richtig krassen Typen zu tun.«
Magnus nickte finster. »Hast du sonst noch was gefunden?«
»Nein, noch nicht. Oder doch, das Seil. Sie wurde erst nach ihrem Tod dort aufhängt, sie weist nämlich keinerlei Hämatome auf, weder an den Hand- noch Fußgelenken. Und wenn man in Betracht zieht, dass im Haus kaum Blut gefunden wurde, kann sie unmöglich dort getötet worden sein.«
»Weißt du, wie lange sie schon tot ist?«
»Natürlich weiß ich das, sieh dir mal diese Made an.«
Widerwillig folgte Magnus ihrer Aufforderung und betrachtete das Insekt, das Eva in ein kleines Glasgefäß gesteckt hatte.
»Das ist die Larve einer Schmeißfliege. Je älter die werden, desto dunkler erscheinen sie. Die hier ist ungefähr eine Woche alt, würde ich schätzen. Alles, was mit diesen Insekten zu tun hat, ist wirklich brennend interessant, musst du wissen.«
Magnus verzog angewidert das Gesicht.
»Wer wohnt denn eigentlich in dem Haus?« Eva wirkte neugierig.
»Niemand. Es ist ein Sommerhaus, das einem Zahnarztpaar gehört, Eva und Per Boström.«
»Zahnärzte, na, das passt ja.« Eva kicherte.
»Die befinden sich seit einem Monat in Thailand und haben vermutlich mit dem Mord nichts zu tun.«
»Aber ihr verhört sie doch sicher trotzdem?«
»Klar, sobald sie zurück sind.«
Magnus warf noch einen Blick auf die Leiche. »Wieso machst du eigentlich nicht was Schöneres? Menschen kurieren oder so was?«
»Und wer würde dir dann helfen?« Eva hob empört eine Augenbraue.
Magnus bereute sofort den unangebrachten Sarkasmus. »Entschuldige«, sagte er beschämt. »Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Und selbst wenn ich es an sich tragisch finde, dass es noch ein weiteres Opfer gibt, kann es uns auch neue Wege und Möglichkeiten eröffnen. Wenn wir eine Verbindung zwischen dieser Frau und Pedro Estrabou herstellen können, dann haben wir ihn. Deshalb warte ich gespannt auf deinen Befund und auf den der Kriminaltechniker.«
Eva schaute ihn an. »Schon okay. Weißt du, letzten Endes glaube ich fest daran, dass meine Arbeit denen hilft, die jemanden verloren haben.« Ein trauriger Blick begleitete ihre Worte.
Mittwoch, 5. November
76
Linn stand auf und ließ das zerwühlte Bettzeug einfach auf den Boden gleiten. Sie konnte nicht schlafen. Viel zu viel ging ihr durch den Kopf, und wenn endlich der Morgen anbrach, empfand sie das im Moment eher als Befreiung denn als Qual.
Sie ging ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein, leise, damit sie die anderen nicht weckte. In den Nachrichten wurden weder der Mord im Allgemeinen noch die tote Frau im Speziellen
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