Bittere Sünde (German Edition)
siehst ja selbst, es schneit wie verrückt. Vielleicht ist er von der Fahrbahn abgekommen oder so was.«
»Dann würde er sich doch melden?«
Die Falte zwischen Magnus Augenbrauen vertiefte sich. »Ich will nur, dass du mal nachhörst«, seufzte er.
Während Roger die Tür ansteuerte, entgegnete er mürrisch: »Ja, ja, mach ich, hab ich doch schon gesagt.«
108
Der Winter zeigte gerade, was er konnte, und es war nicht ganz leicht, die schmale Reifenspur im Schnee zu halten. Sobald er nur ein bisschen von der ausgefahrenen Spur abkam, brach der Wagen hinten aus, und die durchdrehenden Reifen machten fürchterlichen Lärm. Er beugte sich über das Lenkrad und gab sich größte Mühe, in dem ganzen Weiß etwas zu erkennen, die Sicht betrug aber nur wenige Meter.
Jonas schaltete den Verkehrsfunk ein. Es war eine amtliche Unwetterwarnung ausgesprochen worden, und all jenen, die noch nicht unterwegs waren, wurde vom Verlassen ihrer Wohnungen abgeraten. Sollte er umkehren? Es war bereits nach neun, und er wollte ja eigentlich längst zurück sein, bevor die anderen im Präsidium ankamen. Dafür war es jetzt allerdings schon zu spät. Plötzlich machte er sich Sorgen, ob seine Initiative wirklich gut ankommen würde.
Aber was, wenn an dem Hinweis wirklich was dran war? Was dann? Jonas lächelte und bog Richtung Brottby ab. Der kurvenreiche Waldweg war bedeckt von einer sicher dreißig Zentimeter hohen Schicht kreideweißen Neuschnees.
Zuletzt traute er sich nicht, noch weiterzufahren. Wenn er ganz großes Pech hatte, würde er sich nämlich festfahren, und so tief im Wald standen die Chancen, dass ein Räumfahrzeug vorbeikam, gleich null. Doch von hier war es nicht mehr weit, das wusste er. Er stellte den Motor ab und setzte sich seine grün-weiß gestreifte Hammarby-Fan-Mütze auf. Dann holte er noch einmal tief Luft und machte einen Schritt hinaus in die weiße Landschaft.
Der Schnee lastete schwer auf den Ästen der Fichten, und es herrschte Grabesstille. Die Luft drang eiskalt in Jonas Lungenflügel. Er war dort, wo er sich am wohlsten fühlte. Eine warme, weiße Wolke bildete sich, als sein Atem auf die Kälte traf.
Er tastete mit der Hand nach der zusammengefalteten Karte in seiner Tasche, dabei brauchte er sie nicht, er kannte den Weg bereits auswendig und wusste, wie er gehen musste.
Die eisige Kälte biss ihm in Nase und Wangen, während er sich vorkämpfte. Seine Jeans würde bald völlig durchnässt sein, doch er ging beharrlich weiter. Als der Weg sich gabelte, nahm er den rechten. Seit der Wind sich gelegt hatte, war, abgesehen von seinen knirschenden Schritten, weit und breit kein anderes Geräusch zu hören. Bald würde er ankommen, doch er wusste noch nicht, was ihn erwartete. Er wusste nicht, dass sein Weg bald enden würde.
109
Die Hütte lag idyllisch in tiefen Schnee gebettet vor ihm. Jonas erinnerte sie an die braunen Holzhäuschen, in denen er übernachtete, wenn er eine seiner längeren Bergtouren machte.
Durch die Fichten konnte er in einiger Entfernung die Landstraße ausmachen. Dort musste die Zeugin vorbeigefahren sein, der aufgefallen war, dass in der Hütte plötzlich wieder Licht brannte. Im Moment jedoch lag sie im Dunkeln.
Jonas presste die Nase ans Fenster. Er konnte nicht das Geringste erkennen. Die vergilbten Spitzengardinen verhinderten die Sicht ins Innere. Er blickte zu Boden. Es gab außer seinen keine weiteren Fußabdrücke. Das musste aber nichts heißen, schließlich schneite es ununterbrochen. Deshalb konnte er unmöglich sagen, ob kürzlich jemand in der Hütte gewesen war.
Unzufrieden wischte er sich mit dem Handschuh die Feuchtigkeit weg, die sich unter seiner Nase gesammelt hatte, und stapfte zu der Rückseite der Hütte. Mittlerweile war der Schnee in seine Schuhe eingedrungen, und seine Füße wurden allmählich nass.
Als er die Hütte fast komplett umrundet hatte, blieb er wie angewurzelt stehen. Fußspuren führten aus der Tür. Hatte er die vorhin übersehen? Er zog den einen Handschuh aus und tastete ängstlich durch die Öffnung seiner Jacke nach der Dienstwaffe. Seine Fingerspitzen stießen gegen den Kolben, was ihn sofort ruhiger werden ließ.
Langsam schlich er zur Tür und hockte sich hin. Die Spur führte tatsächlich aus dem Haus, aber wohin? Plötzlich veränderte sich die Zusammensetzung der Luft. Als würde durch seine Erkenntnis plötzlich alles nach Blut schmecken. Die Spur verschmolz mit seiner eigenen. Sie
folgte ihm!
Er warf einen
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