Bittere Sünde (German Edition)
schnellen Blick über die Schulter, doch es war schon zu spät. Jonas sank auf die Knie und starrte auf den Schnee. Er war bereits rot. Den nächsten Schlag spürte Jonas kaum noch; er kippte nach vorn, sein Gesicht vergrub sich im roten Schnee. Seine Augen bestaunten noch kurz die Kristalle, dann sahen sie nichts mehr.
110
Jonas Orlings Mutter streute gerade Zucker auf die Sauermilch, als es passierte. Ihr Körper sackte mit einem Mal in sich zusammen. Sie spürte, dass Jonas tot war, und das Gefühl zerriss sie innerlich. Als sie auf den Küchenboden fiel, schrie sie. Der Schrei kam aus ihrem tiefsten Innern und hörte und hörte nicht auf. Ihr Mann stürzte aus dem oberen Stockwerk heran, fest davon überzeugt, dass sie den Verstand verloren hatte. Es würde noch eine Weile dauern, bis er sein Gesicht in den Händen verbergen und auf ähnliche Weise schreien würde. Doch bevor es soweit war, würde er abwechselnd hoffen und bangen, bis er das Gefühl hatte, verrückt zu werden.
Er würde seine Frau anschreien, die sich wie ein Schatten durch das Haus bewegte. Schimpfen, weil sie schon aufgegeben hatte. Dieser Tag besiegelte das Ende ihres gemeinsamen Lebens, die Trauer trieb sie auseinander. Der Anblick des anderen erinnerte sie zu sehr an Jonas, und mit diesem Schmerz konnte keiner von ihnen leben. Doch das wussten sie zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Erst einmal versuchte Nils Orling Jonas über das Handy zu erreichen, dann wählte er die Festnetznummer seiner Wohnung und zuletzt die von der Arbeit. Jetzt würden sie seine Stimme hören, sein resigniertes Seufzen und dann seine Beteuerung, dass es ihm gut gehe und die Mutter bitte aufhören solle zu fantasieren. Das war zumindest das, was Jonas’ Vater erwartete, als am anderen Ende abgehoben wurde.
111
Während sich Magnus den trockenen Bericht der Kriminaltechniker zu Gemüte führte, klopfte er mit dem Kugelschreiber gegen die Schreibtischkante. Sie hatten es mit einem sehr sorgfältigen Täter zu tun, so viel war klar. Trotzdem waren sie auf ein paar Dinge gestoßen, wie den Fingerabdruck auf dem Topf, Fahrradspuren und die Faser, die zu einem blau-schwarzen Pullover gehörte. Gerade, als sich Magnus der Auswertung von Pedro Estrabous Computer zuwenden wollte, klingelte das Telefon und ließ ihn zusammenzucken.
»Guten Tag, hier spricht Nils Orling, Jonas’ Vater. Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber könnte ich Jonas einmal sprechen?« Nils Orling bemühte sich, freundlich zu klingen, doch Magnus entging der besorgte Unterton nicht.
»Nein, das geht gerade leider nicht, er ist unterwegs.«
Nils Orling blieb stumm, Magnus hörte, dass er schwer atmete.
Er war ihm ein paar Mal begegnet. Nils Orling war ziemlich groß, hatte einen rotbraunen Bart, eine runde Brille und strahlte die gleiche Ruhe aus wie Jonas. Magnus hatte ihn auf Anhieb gemocht.
»Geht es um etwas Bestimmtes?«
»Nein …« Nils Orling zog das Wort in die Länge, als würde er darüber nachdenken, was er als Nächstes sagen sollte. Dann fügte er entschuldigend hinzu: »Wir haben vergeblich versucht, ihn über sein Handy zu erreichen. Seine Mutter macht sich irgendwie Sorgen. Würden Sie ihm ausrichten, dass er sich bei uns melden soll, sobald er wieder bei Ihnen eintrifft?«
»Ja, ich richte es ihm aus. Wiederhören.«
Magnus legte auf und bekam ein schlechtes Gefühl. Wieso machte Jonas’ Mutter sich Sorgen? Hatte Jonas ihr etwa von seinem Vorhaben erzählt? Er versuchte, den Gedanken abzuschütteln, doch das schlechte Gefühl wurde er einfach nicht los. Er stand auf und ging zu Roger.
»Hast du herausgefunden, was für ein Hinweis das war?«
»Nein, und Jonas hat ihn leider nicht vermerkt. Ans Telefon geht er außerdem auch nicht.«
Magnus verzog das Gesicht. »Immerhin haben wir seine Nachricht. Ist Brottby dicht besiedelt?«
»Nein, das ist plattes Land. Natürlich sammelt sich ein Großteil der Häuser an der Hauptstraße, wo es dann auch ein Geschäft und eine Pizzeria gibt, glaube ich. Aber die restlichen Häuser verteilen sich im Prinzip komplett im Wald.«
»Ist das ein großes Gebiet?«
»Ja, ziemlich groß.«
Magnus biss sich besorgt auf die Lippe. »Wenn wir ihn nach der Pause noch nicht erreicht haben, müssen wir ihn suchen.«
Roger schob schmollend die Unterlippe vor. »Dieser dumme Junge«, sagte er. Und dann: »Was schreibt das SKL ?«
»Nichts weiter Überraschendes. Ich wollte gerade mit dem Teil über den Rechner anfangen. Ich bin schon echt
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