Bitterer Chianti
seinen Job nicht für seine persönlichen Ziele nutzen würde. Er kannte genug Leute, denen völlig egal war, was sie taten, Hauptsache, sie machten Karriere.
Strozzi redete weiter auf ihn ein:
«Nicht alle Produzenten von Chianti Classico sind dem Consorzio angeschlossen, nur 240 produzieren und füllen selbst ab. Glauben Sie, dass 240 verschiedene Geschmäcker dabei herauskommen, und – dass jemand das schmecken kann?»
«Neulich auf der Verkostung habe ich ...»
Strozzi fiel ihm ins Wort. «Sie vielleicht, aber nicht der normale Konsument. Was hat der denn für eine Vorstellung vom Chianti? Zypressen, Sonne, schöne Häuser, den Duft von Rosmarin und Spaghetti mit irgendeiner Soße, Tomaten, ja, Tomaten. Wie so ein Wein schmecken muss, das weiß der doch gar nicht.»
«Haben Sie das auch unserem Redakteur gesagt?»
«Dio me ne guardi! Gott bewahre! Man muss den Leuten sagen, was sie hören wollen.»
Klar, dachte Frank, man war schließlich Politiker. «Und was will ich hören?»
In dem Augenblick klingelte das Handy des Avvocato. «Pronto ...sì, signora...», hörte Frank noch, dann war Strozzi mit raschen Schritten außer Hörweite.
«Wir müssen unsere Fotosession leider unterbrechen, Signor Gatow, mi dispiace », sagte der Avvocato mit Büßermiene, als er zurückkam. «Ich bekomme wichtigen Besuch. Lassen Sie uns hinaufgehen. Sie werden durstig sein. In unserer Bar haben wir alles, was das Herz begehrt.»
Er folgte dem Avvocato durch einen Korridor mit Wappenschildern und Fahnen in den Salon, ließ sich in einen tiefen Ledersessel fallen und bat um einen Campari mit Orangensaft.
Strozzi ließ ihn eilig allein, als ein silbergrauer Wagen neben der Terrasse hielt. Frank stand auf und ging neugierig zur Terrassentür. Er erkannte die Dame sofort, die aus dem eleganten Lancia Aurelia Cabriolet stieg.
9
Samstag:, 2. Oktober
Sie wirkte sportlich und diszipliniert, und ihr streichholzlanges, stufig geschnittenes Haar unterstrich diesen Eindruck noch. Ihre Bewegungen waren sehr geradlinig und zielgerichtet. Als sie sich in Franks Richtung drehte, sah er ihr Gesicht viel deutlicher als neulich im Halbdunkel des Ospedale Santa Maria: Es war asketisch und hart. Die scharfen Falten um ihren Mund stammten weniger vom Lachen als von Sorgen, soweit Frank das auf die Entfernung sagen konnte. Die tiefschwarzen Augen fixierten Avvocato Strozzi, als wollten sie ihn durchbohren.
«... war nicht richtig», hörte Frank sie hastig sagen. «So geht das nicht! Das war nicht abgemacht.»
«Was regst du dich auf? Wir brauchen konkrete Resultate. Wir kommen nicht schnell genug voran. Du hast deine Leute nicht im Griff, du bist nicht konsequent genug.»
«Dafür geschickter. Das Einzige, was ihr erreicht, ist, dass Staub aufgewirbelt wird. Was denkt ihr euch eigentlich dabei? Denkt ihr überhaupt nach?»
Strozzi sah sich um und hielt ihr fast die Hand vor den Mund. «Still! Ich habe Besuch – der deutsche Fotograf ist hier, ein schlichtes Gemüt zwar, aber er spricht Italienisch.»
«Was will er hier?», fragte die Frau ungehalten und schlug die Tür der Aurelia zu. «Schnüffelt der rum?»
Frank schob sich durch die Terrassentür näher heran und hielt sich im Schatten der mannsgroßen Topfpflanzen, die als Sichtschutz zwischen Terrasse und Parkplatz standen.
«Ich glaube nicht. Er fotografiert tatsächlich für einen Weinführer. Ich habe vor kurzem dem Journalisten, der die Texte dafür schreibt, ein Interview gegeben. Wenn ich den Fotografen jetzt aussperre, könnte das auffallen, zumal ich auf der Liste des Consorzio stehe. Mit Sassa..., dem Commissario heute ...»
«Das ist ein Trottel, das habe ich immer gesagt. Komm, gehen wir lieber rein. Ich sehe mir diesen Deutschen mal an.»
Während Strozzi die Frau zur Haustür führte, verließ Frank den Horchposten auf der Terrasse und nahm seinen Platz in dem tiefen Sessel wieder ein. Wer war diese Person, die ihn sich ansehen wollte, und was hatte Strozzi mit ihr zu tun? Und was lief da zwischen dem Avvocato und dem Commissario?
Strozzi und seine Begleiterin ließen auf sich warten. Frank grübelte über die aufgeworfenen Fragen nach, gleichzeitig faszinierte ihn das Material des ungemein bequemen Sessels. Das hellgraue Leder war weich und kühl, aber nicht kalt. Die Polsterung passte sich der Form des Körpers an und gab gleichzeitig Halt. In diesem Sessel wurde man von ganz allein müde, und Frank hätte auf der Stelle einschlafen können. Der Tag war
Weitere Kostenlose Bücher