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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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nur zu bekannten Alltagssorgen. Die pickelige Blonde auf der Bank gegenüber hatte ihre Pommes vertilgt. Sie zerquetschte das leere Behältnis, ließ es fallen und sah ihn dabei stumpfsinnig an. Dann wischte sie sich mit dem Handrücken die Ketchupspuren vom Mund. Angewidert löste Amadeus seinen Blick von ihr.
    Am Sonnabend um acht erwartete ihn Beate Grüning zum Essen - zu einem Candle-Light-Dinner, wie sie ihm mit einem honigsüßen Lächeln verkündet hatte. Ihm graute davor. Vor ihrer Wohnung mit den massiven Eichenmöbeln, den dicken Teppichen und Gobelinvorhängen, vor den fetten, schweren Speisen, dem Rosésekt und den süßen Weinen - und nicht zuletzt vor seiner Gastgeberin. Umgeben von einem aufdringlichen Parfumduft, würde sie ihm gegenübersitzen und nicht aufhören zu lächeln und er würde auf ihre Pausbäckchen starren, die wie zwei Tischtennisbälle hervortraten. Während sie ihm haarklein ihr abgrundlangweiliges Leben erzählte, würden ihre Speckarme lebhaft durch die Luft fuchteln und ab und zu würde sie ein Speicheltröpfchen mit der Serviette aus ihrem Mundwinkel tupfen. Bei dieser Einladung erwartete ihn der dritte Teil ihrer Vita und sie hatte bereits angedeutet, dass es der spannendste werden würde. Die ganze Zeit müsste er diesen Mund ertragen, der in einem fort redete und biss und kaute, bis der rosa Lippenstift abgegessen war und die Lippen fettig umrandet glänzten.
    Doch was half es. Beate Grüning schien einen Narren an ihm gefressen zu haben. Ohne jede Zurückhaltung hatte sie sich bereits mehrfach bei ihm erkundigt, ob er in festen Händen sei. Unglaublich, diese Person war so was von dreist! Es sollte beiläufig klingen. Doch wie wichtig es ihr war, hatte er sofort an ihrem erfreuten Gesichtsausdruck gesehen, wenn er ihr ein ums andere Mal versichert hatte, dass er allein sei. Was gelogen war.
    »Die alte Kuh hat sich in dich verknallt«, hatte seine Freundin Jenny nüchtern festgestellt.
    »Aber was willst du? Du schuldest seit einem halben Jahr die Miete und sie ist deine Vermieterin. Zahlst du halt mal in Naturalien!«
    Jenny hatte sich bald bepisst vor Lachen bei dieser Vorstellung. Ach ja, die konnte sich nicht vorstellen, wie quälend diese Dates für ihn waren.
    »Ich habe kein Problem damit. Die Frau ist eine gute Partie und du bist doch Schauspieler! Überleg dir was! Das ist doch ein Klacks für dich!«
    Kottbusser Tor. Seufzend stand er von seinem Platz auf und stieg aus der U-Bahn. Vielleicht sollte er es einfach auch so sehen. Musste er halt die nächste Rolle einüben.
    Am späten Sonnabendvormittag saß Beate Grüning in einem Café nicht weit von der Kottbusser Brücke. Sie nahm einen Schluck von ihrem Milchkaffee und warf einen kritischen Blick auf die fahlen Käsescheiben und die pinkfarbene Salami vor den beiden schmalen Studentinnen, die sich am anderen Ende des Biertisches ein Frühstück teilten. Des Essens wegen hätte Beate sich das Café niemals ausgesucht. Seine sonnige Terrasse und natürlich seine Lage gegenüber dem Haus Nummer 19 hatten sie bewogen, hier Platz zu nehmen. Schließlich war sie nicht zu ihrem Vergnügen hier.
    Es war Mitte Oktober und der Wind jagte graublaue Wolkenberge über den Himmel. Doch die Sonne, die immer wieder dazwischen hervorkam, hatte noch viel Kraft. Ein Glasschälchen mit Honig und eines mit viel zu roter Marmelade hatten die studentischen Tischnachbarinnen in die Tischmitte geschoben. Eine einzelne Wespe tänzelte heran und landete auf dem Rand des Honigschälchens. Sie untersuchte eine Weile, was sie da vor sich hatte, und schließlich tunkte sie zögernd ihren Rüssel in die goldfarbene Flüssigkeit.
    Dann gab es kein Halten mehr. Sie tauchte tief ein in den süßen, köstlichen See, schien ihr Glück kaum fassen zu können, diese Quelle ganz allein für sich zu haben. Immer hastiger wurden die Bewegungen des Tierchens, immer näher rückte es dem verführerischen Abgrund.
    Missbilligend blickte Beate Grüning zu den Grüppchen schwatzender Mütter, die ihre Kinderwagen neben die Sitzbänke gezogen hatten. Aus den meisten erklang nervtötendes Babygeschrei. Doch außer einem lässigen Schuckeln der Gefährte mit einer Hand, während die andere die Kaffeetasse hielt, ergriffen sie weder wirksame Gegenmaßnahmen noch ließen sie sich bei ihrem Geplauder stören. Auch das Gezeter ihrer streitenden Kleinkinder, welches die Mütter gar nicht wahrzunehmen schienen, war eine echte Zumutung. Aber Beate war wohl die Einzige,

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