Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
wichtig, denn sie hatte sich ganz gut gehalten, wie sie fand, und Amadeus kannte ihr Alter sowieso nicht. Er war 37, hatte sie in seinen Anmeldeunterlagen für die Wohnung gesehen, außerdem Jungfrau - genau das Sternzeichen, das zu ihr passte!
Während sie so ihren Gedanken nachhing, ließ sie die Haustür der Nummer 19 nicht aus den Augen. Heute Abend würde sie entscheiden, ob Amadeus von Steinberg es verdiente, an ihrer Seite zu leben. Wie in den letzten Wochen schon des Öfteren, wollte sie sich noch einmal Gewissheit verschaffen, ob er sie nicht belogen hatte über seinen Junggesellenstatus. Nicht, dass sie ihm nicht vertraute, doch aus leidvoller Erfahrung wusste sie, dass Kontrolle immer besser war.
Wenn alles nach Plan lief, würde sie ihm heute Abend ihr ganzes Leben offenlegen, zumindest den größten Teil davon. Wenn es anders käme - darüber wollte sie noch nicht nachdenken. Auch wenn es ihr in seinem Fall besonders leidtäte. Doch jetzt musste sie sich erst einmal auf das geplante Menu konzentrieren. Dankenswerterweise hatte ihre Mutter sie zu einer ausgezeichneten Köchin herangezogen. Amadeus würde heute ihrer Kochkunst erliegen, davon war sie überzeugt. Vorspeise und Hauptgang hatte sie schon festgelegt. Doch welches Dessert sollte sie wählen? Süßes mochte er besonders gern, das hatte sie bereits bemerkt, und es war der entscheidende Gang an diesem entscheidenden Abend. Blanc Manger? Oder lieber Nougatcreme auf Meringue? Welche Süßspeise sollte sie als krönenden Abschluss servieren? Dann wusste sie es: Mamas Schokoladencreme mit Amaretto, das war perfekt! Ein Rezept, das sich für jede Art Ausgang des Abends sehr gut eignete.
Da! Er kam aus der Tür. Toll sah er wieder aus. Die dunklen Haare ein wenig verstrubbelt, einen beigefarbenen Pulli lässig um die Schultern geschlungen, enge Jeans. Sie schob sich die große Sonnenbrille ins Gesicht. Erkennen sollte er sie jetzt keinesfalls. Ein anderer junger Mann kam neben ihm aus dem Haus, sie wechselten ein paar Worte, umarmten sich kurz und gingen dann in verschiedene Richtungen auseinander. Beate rief die Bedienung, um zu zahlen. Als sie einen Blick auf das Honigschälchen warf, das die nachlässige Kellnerin immer noch nicht abgeräumt hatte, lag die gierige Wespe regungslos in der süßen Köstlichkeit. Beate freute sich wahnsinnig auf den heutigen Abend.
Mit einer einzelnen gelben Rose machte sich Amadeus von Steinberg auf den Weg nach Lichterfelde, wo die Grüning ganz allein in ihrer geerbten Villa residierte. Er fühlte sich wie auf dem Weg zum Zahnarzt, mit so einem mulmigen Gefühl im Magen. Er war ohnehin keiner dieser Genussmenschen, die stundenlang essen und dabei auch noch darüber philosophieren konnten, und beim Gedanken an dieses romantische Dinner zu zweit hatte er überhaupt keinen Appetit.
Sie öffnete in einer Wolke aus blauem Organza, neben ihren rosa bemalten Lippen grub sich das bekannte Dauerlächeln zwischen ihre Pausbäckchen. Beim Aperitif erkundigte sie sich sofort nach Falbinger. Amadeus antwortete ausweichend, dass er natürlich nicht der Einzige und das Casting noch nicht abgeschlossen sei.
»Ich drücke dir ganz fest die Daumen«, strahlte Beate ihn an und hielt sich dann erschrocken die Hand vor den Mund.
»Entschuldige, jetzt ist mir das Du einfach so rausgerutscht!«
Sie lächelte etwas geziert.
»Hättest du denn was dagegen? Du erscheinst mir schon so vertraut...«
Überrumpelt konnte Amadeus nur wortlos sein Einverständnis nicken. Beate hielt ihm erwartungsvoll das Glas mit dem roséfarbenen Sekt und ihren im gleichen Farbton glänzenden Mund entgegen.
»Na dann! Beate. Du darfst mich auch Püppi nennen, wenn du willst.«
Püppi! Er musste erst einmal Luft holen.
»Amadeus.«
Augen zu und durch.
Ich bin Schauspieler, dachte er nur.
Jenny hatte recht gehabt. Die Grüning hatte sich in ihn verknallt. Sie meinte es total ernst. Oh Gott, er konnte es sich nicht leisten, dass sie ihn jetzt aus seiner Wohnung schmiss! Kein Job, ein halbes Jahr Mietrückstand und auch sonst Schulden ohne Ende - wie sollte er da eine neue Bleibe finden? Er konnte aber auch nicht einfach so den Gigolo machen, wie Jenny ihm flapsig vorgeschlagen hatte. Das ging zu weit. Er war Schauspieler und kein Callboy.
Trotzdem musste er dieses absurde Theater irgendwie beenden. Allerdings konnte er ihr nicht sagen, dass er schon ewig mit Jenny liiert war. Ob Jenny seine große Liebe war, wusste er nicht, aber sie war in Ordnung.
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