Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Schultern hängen. »Ich hätte es nicht tun dürfen! Aber ich war wütend, weil mir die Herrschaft wegen einer zerbrochenen Schale schon wieder den Lohn gekürzt hatte. Dazu musste ich auch noch die Köchin ersetzen, die einfach abgehauen war. Als ich mich beschwerte, hat mir die gnädige Frau eine Ohrfeige versetzt und mir für die nächsten Wochen den freien Tag gestrichen. Kurz danach kam Steffler auf mich zu und hat mir 100 Mark dafür geboten, dass ich der Herrschaft einen Streich spielen sollte. In meiner Wut bin ich darauf eingegangen. Aber ich konnte doch nicht ahnen, dass das angebliche Abführmittel, das ich in den Pudding des gnädigen Herrn tun sollte, Rattengift war und er daran sterben würde.«
Maruhn ließ ihn reden. Ein wenig tat der Mann ihm sogar leid. Er war kein hartgesottener Gauner, sondern ein schlichter Bediensteter, der sich schlecht behandelt gefühlt hatte. Doch ein Mord war ein Mord.
Daher legte er ihm die Hand auf die Schulter. »Ich glaube, das wird den Herrn Staatsanwalt sehr interessieren. Er sucht schon lange eine Gelegenheit, Joachim Steffler zu erwischen. Hoffentlich lebt der Kerl noch, den ich niederschießen musste. Seine Aussage dürfte Steffler endgültig das Genick brechen.«
Da er nicht wollte, dass der Lakai ihm entkam, behielt Maruhn den Revolver in der Hand und wies seinen Gefangenen an, sich um den Ganoven zu kümmern. Der war tatsächlich noch am Leben, hatte aber einiges an Blut verloren und war bewusstlos.
Während der untreue Diener den Mann notdürftig verband, setzte Maruhn eine Trillerpfeife an die Lippen, mit der Gendarmen im Allgemeinen Kameraden zu Hilfe riefen, und weckte damit die ganze Gegend auf.
Nur kurze Zeit später bogen zwei Gendarmen im vollen Lauf um die Ecke, die Schlagstöcke in der Hand, und starrten verwirrt auf Maruhn, der noch immer seinen Gefangenen mit dem Revolver in Schach hielt.
»Nehmen Sie die Waffe weg!«, bellte einer der Ordnungshüter Maruhn an.
»Gerne, wenn Sie dafür sorgen, dass beide Herren hierbleiben!«
»Sie haben überhaupt nichts zu fordern!«, fuhr der andere Gendarm auf.
Ohne auf ihn zu achten, steckte Maruhn den Revolver weg und holte die Messingmarke aus seiner Tasche, die ihn als Detektiv auswies. Da nur zuverlässige Leute, und auch nur solche, die beim Militär einen gewissen Rang eingenommen hatten, von den Behörden eine solche Plakette erhielten, wurden die beiden Gendarmen bei diesem Anblick ziemlich kleinlaut.
»Verzeihen Sie, aber Ihre Kleidung hat uns in die Irre geführt«, entschuldigte sich einer von ihnen.
Maruhn hob begütigend die Hand. »Schon gut! Besorgen Sie einen Wagen und bringen Sie den Verletzten zu einem Arzt. Der andere Mann sollte, so glaube ich, dem Herrn Staatsanwalt Rede und Antwort stehen. Es geht um Mord!«
***
Es war beinahe lächerlich zu sehen, wie eifrig die beiden Gendarmen nun zu Werke gingen. Keine anderthalb Stunden später saß Maruhn im Empfangssalon des Staatsanwalts, bekleidet mit einem seiner eigenen Anzüge, den einer der beiden Gendarmen aus seinem Haus geholt hatte, und hörte zu, wie der Hausdiener Emil Klotzke seine Aussage machte.
Staatsanwalt von Bucher lauschte dem Mann sehr interessiert. Mehr als einmal sah er so aus, als wolle er Klotzke unterbrechen, ließ ihn aber weiterreden. Als der Diener die gesamte Tat geschildert hatte und sich in verzweifelten Rechtfertigungsversuchen erging, wurde es dem Vertreter der Obrigkeit zu viel. Er läutete nach einem Wachtmeister und befahl diesem, Klotzke in die Criminal-Anstalt Moabit zu bringen. Außerdem stellte er einen Haftbefehl für den Hehler Joachim Steffler aus.
»Wenn wir den Kerl haben, wissen wir hoffentlich auch, wer dieses Verbrechen geplant hat«, sagte er anschließend zu Maruhn.
Maruhn nickte nachdenklich. »Ich dachte mir schon, dass mehr dahinterstecken muss als nur der Ärger eines sich ungerecht behandelt fühlenden Domestiken.«
»Der Tote, um den es geht, war ein wohlhabender Geschäftsmann namens Friedrich Rebenstock«, erklärte der Staatsanwalt, während er sich eine Zigarre anzündete und den Rauch zu Ringen blies. »Rebenstock wurde mit Rattengift ermordet und es gab nur drei Menschen, die ihm etwas in seinen Pudding tun konnten. Das waren der Hausdiener Klotzke, das Dienstmädchen und die Ehefrau. Da Hedda Rebenstock als Einzige den Schlüssel zu dem Schrank besaß, in dem das Rattengift aufbewahrt wurde, war sie am meisten verdächtig und wurde vor drei Tagen
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