Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
im Jenseits verschwunden war, meinte, den zarten Leib Friedrich Albrechts an ihrer Brust zu spüren, der immerhin vier Wochen lang ihr Herz erfreut hatte. Würde die Verzweiflung über den viel zu frühen Tod der beiden sie je dazu befähigen, eine solch schlimme Tat zu begehen? Sie hoffte, niemals in eine derartige Lage zu geraten.
»Er war Euer Sohn und ebenso klein und rothaarig wie mein Hubertus«, sprach sie so ruhig wie möglich zur Schöninger. »Deshalb konntet Ihr Hubertus' Anblick schwer ertragen. Zu sehr hat er Euch stets an Euer Kind erinnert. Er durfte leben, Euer Lorenz aber war tot. Also habt Ihr Euch sein Vertrauen erschlichen und ihm die vergiftete Essenz zugesteckt. Leider aber hat er seinen Kameraden davon gegeben, statt selbst davon zu nehmen.«
Ein neuer, heftiger Krampf zwang die Hofmeisterin zur Seite, enthob sie jeder Antwort. Behände sprang der Wundarzt hinzu, zog sie von Dorotheas Schoß und legte sie ganz auf den Boden.
»Zur Strafe hat sie jetzt von ihrem eigenen Gift genommen«, erklärte er. »Wir sollten sie in Ruhe sterben lassen.«
»Sie in Ruhe sterben lassen«, äffte Hubertus den Wundarzt nach, legte die kurzen Arme um die Schultern seiner beiden Gefährten und drückte sie eng an sich. »Und wer macht unsere Kameraden wieder lebendig?«
»Ihr sinnloser Tod ist durch nichts wiedergutzumachen.« Dorothea richtete sich auf und trat zu den drei kleinen Männern. »Nie im Leben hätte ich die Hofmeisterin einer so bösen Tat für fähig gehalten.«
»Weil Ihr immer nur an das Gute im Menschen glaubt«, erwiderte Hubertus.
»Weil ich immer nur an das Gute im Menschen glauben muss. « Leise, nur für sich selbst hörbar, fügte sie hinzu: »Und für mich hoffe ich, stets beim Guten zu bleiben und niemals in Versuchung zu geraten, blindlings Rache zu üben.«
Dicht stellte sie sich vor die drei Zwerge, sah einen nach dem anderen eindringlich an. Dann breitete sie die Arme aus und umschloss die drei. Widerstrebend erst, dann aber zunehmend vertrauensvoller pressten sie ihre Köpfe gegen ihren Leib, suchten Schutz in den Weiten ihres Rocks. Erleichtert atmete Dorothea auf. Vom anderen Ende des Flurs hörte sie das fröhliche Plappern der zweieinhalb jährigen Anna Sophie, das einzige ihrer Kinder, das bislang überlebt hatte. Gleich würde sie zu ihr gehen und auch sie fest an ihr Herz drücken.
Zum historischen Hintergrund
Die preußische Herzogin Dorothea (1504-1547), eine gebürtige dänische Prinzessin, hat es ebenso gegeben wie ihren Gemahl, Herzog Albrecht von Brandenburg- Ansbach (1490-1568). Er war der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens und, nach seinem Übertritt zum Luthertum 1525, der erste weltliche Herzog von Preußen, was ihn in großen Konflikt mit dem deutschen Kaiser und dem Deutschen Orden brachte. Dorothea und Albrecht waren bekannt für ihre Zwerge, die sie aus dem Osten Europas ›bezogen‹, bei sich am Hof hielten und gern auch als Geschenk an andere Höfe verschickten. Ebenso verschenkte Dorothea gern auch von ihr selbst hergestellte Arzneien, galt sie doch als in der Heilkunde äußerst bewandert. So hat sie Luther im Frühjahr 1530 tatsächlich eine Bernsteinessenz zur Behandlung seiner chronischen Magenbeschwerden zukommen lassen.
Im September 1529 erkrankte Dorothea, hochschwanger, am Englischen Schweiß, erholte sich aber wie durch ein Wunder erstaunlich rasch. Anfang Dezember 1529 gebar sie den Thronfolger Friedrich Albert, der jedoch schon in den ersten Januartagen 1530 starb. Im selben Jahr fand der berühmte Reichstag von Augsburg statt, auf dem die Reichsacht über Martin Luther verhängt wurde. Gleichzeitig gab es Bestrebungen, auch gegen Albrecht die Reichsacht zu verhängen, durchgesetzt wurde sie im Januar 1532. Seinen Übertritt zum Luthertum wie auch seinen Huldigungseid gegenüber seinem Oheim, dem polnischen König Sigismund I., mit dem das Ende des Ordensstaates eingeläutet wurde, hat ihm der Deutsche Orden nie verziehen.
Friederike Schmöe
Das geheime Wissen der Zofe
6. M AI 1637
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten bin ich wirklich allein.
Der Tod hat mir den einzigen Menschen genommen, den ich je geliebt habe. Sie war mir näher als meine eigene Mutter. Im Schein einer flackernden Kerze betrachte ich ihr wächsernes Gesicht zum letzten Mal. Dann bedecke ich ihr Antlitz mit einem weißen Tuch. Der Schreiner nagelt den Sarg zu.
Vier junge Burschen kommen herein. Der ausgetretene Holzboden knarrt ungehalten unter ihren Stiefeln.
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