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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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Terroristen! Ich erinnere mich an eine Versammlung, bei der etliche Genossen die Nase gerümpft haben, als es darum ging, einen Aufruf zu deiner Freilassung zu unterschreiben. Am Ende war die Entscheidung trotzdem einhellig, die Stimme von Guido Pagano wog eben mehr als politische Ideologien.«
    Seine Bewegungen mochten langsam sein, doch aus seiner Stimme sprach ungebrochene Energie, dem langen politischen Kampf und dem hohen Alter zum Trotz. Er beugte sich über den Tisch, goss Kaffee ein und stellte die Kanne auf den Herd zurück. Seine Hände zitterten kaum. Es freute ihn, als ich ihm sagte, dass ich meinen Kaffee schwarz trinke.
    »Ich auch. Der Arzt hat mir Zucker verboten, wegen meinem Diabetes.«
    Dann setzte er sich und pustete in sein heißes Getränk. |39| Ich betrachtete ihn aufmerksam. Die spärlichen weißen Haare waren sorgsam gekämmt, der einstmals akkurate Scheitel gerade noch zu erkennen. Durch die dicken Brillengläser wirkten seine Augen riesig. Unzählige Runzeln gruben ein engmaschiges Netz auf Stirn und Hals, das vernarbte Gesicht war glatt rasiert. Die Arthritis hatte gnadenlos gewütet und die Gelenke deformiert, seine Hände waren knotig wie die Zweige eines uralten Olivenbaums. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen, trotz der karierten Wollsocken konnte ich die geschwollenen Fußknöchel erkennen. Der einstige Haudegen war alt geworden. Fast rührend, wie er so dasaß, mit gefütterten Pantoffeln und einer Strickjacke, die an den Ellenbogen abgenutzt war. Jetzt erinnerte ich mich wieder, zuletzt hatte ich ihn auf dem Friedhof gesehen, bei der Beerdigung meiner Mutter und später bei der meines Vaters. Beide Male hatte er in der Nähe der gesenkten Fahne der Associazione Partigiani gestanden. Mein Großvater Baciccia hatte mir erzählt, dass Olindo Grandi ein tollkühner Partisanenkämpfer war, was ihm sogar eine Auszeichnung des Staatspräsidenten eingebracht hatte. Ich wusste auch, dass er nach Kriegsende weiter aktiv war, Aufgaben und Funktionen im zivilen Bereich übernommen hatte. Sekretär eines Ortsverbands der Kommunistischen Partei Italiens, Mitglied im Zentralkomitee und schließlich Vorsitzender des Nationalen Partisanenverbands. Nicht unbedingt eine brillante politische Karriere für jemanden vom Format Olindo Grandis, einst Kopf einer der schlagkräftigsten Partisanengruppen des Widerstands.
    Fast gleichzeitig tranken wir unseren letzten Schluck Kaffee. Er schwieg. Er hatte es nicht eilig. Die Sonne fiel seitlich auf sein zerfurchtes Gesicht. Er ähnelte einem fossilen Reptil, das kurz vor dem Sterben noch einmal Energie tankt und dem die Sonne Trost spendet. Auf der |40| Anrichte thronte ein wuchtiges Röhrenradio mit furniertem Sperrholzgehäuse. Ob es wohl noch funktionierte?
    »Haben Sie damit früher Radio London gehört?«, fragte ich.
    Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Das hat mir Amelia geschenkt, 1957, zu meinem vierzigsten Geburtstag.«
    »Alle Achtung, Olindo. Dann sind Sie heute ja über neunzig!«
    »Ja, im Dezember habe ich meinen Neunzigsten gefeiert, im Kreise der Familie. Aber können wir uns nicht duzen? Zwischen Genossen gehört sich das so. Außerdem fühle ich mich dann jünger.«
    Jetzt war es an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. »Darf ich rauchen?«, fragte ich ihn. Er hatte nichts dagegen, vorausgesetzt, ich würde das Fenster öffnen. Dass ich Privatdetektiv war, wusste er aus der Zeitung, deshalb war er neugierig auf das, was ich zu erzählen hatte. Während ich die Pfeife stopfte und sie anzündete, sprach ich von meinem Auftrag und der Geschichte, die mir Professor Hessen erzählt hatte. Er hörte konzentriert zu, allerdings konnte ich sehen, wie sich sein Gesichtsausdruck im Laufe der Zeit verwandelte. Er schüttelte wiederholt den Kopf und zog die Augenbrauen zusammen. Eine gewisse Unruhe schien ihn zu erfassen, aber er unterbrach mich nicht. Erst als ich fertig war, seufzte er tief: »Da ist etwas faul.«
    Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet, was ihm wiederum nicht verborgen blieb. »Ich habe eine Widerstandsgruppe kommandiert«, erklärte er in sachlichem Ton, »ich kannte jeden Kurier und sämtliche Männer und Frauen, die uns unterstützt haben. Aber ich versichere dir, den Namen Nicla habe ich noch nie gehört.«
    »Und ein Offizier namens Hessen?«
    »Ich weiß nicht, nach so langer Zeit   … Überprüfe |41| einfach die Namen der beim Odeon-Attentat getöteten Deutschen.«
    »Das habe ich bereits getan.

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